Kunstformen der Natur – Zum 100. Todestag von Ernst Haeckel

Der Zoologe, Philosoph und Freidenker Ernst Haeckel (1834–1919) lebt von 1861 bis zu seinem Tod in Jena – verbringt also rund zwei Drittel seines Lebens hier. Er ist einer der bekanntesten Wissenschaftler an der Wende zum 20. Jahrhundert und hat großen Anteil an der Verbreitung der Evolutionstheorie von Charles Darwin.

Haeckel prägt so gewichtige Begriffe wie den der Ökologie und sieht in der Politik eine Art angewandter Biologie. Sein wissenschaftliches Werk hat ein enormes Ausmaß und er versteht sich darauf, dies in populären Schriften zu verbreiten. So wird er zu einem der bekanntesten Wissenschaftler seiner Zeit. Im späteren Leben widmet er sich nahezu ausschließlich dem Monismus, einer philosophischen Denkrichtung, die (vereinfacht ausgedrückt) alle Phänomene der Welt in ein Grundprinzip zusammenführt, der Einheit von Geist und Materie.

Ernst Haeckel ist ein begnadeter Zeichner: Von Beginn an dokumentiert er seine Forschungen in Zeichnungen und entwickelt aus diesen bildnerischen Vertiefungen einige seiner Theorien. In dieser Hinsicht sind die von 1899 bis 1904 in zehn Heften und einem zusammenfassenden Buch veröffentlichten Kunstformen der Natur, mit denen er zahlreiche Künstler und eine gesamte Richtung – den Jugendstil – nachhaltig beeinflusst, von besonderer Bedeutung. Das Werk versammelt 100 Bildtafeln verschiedener Organismen, mit denen Haeckel möglichst vielen Menschen den »Zugang zu den wunderbaren Schätzen der Schönheit […], die in den Tiefen des Meeres verborgen oder wegen ihrer geringen Größe nur durch das Mikroskop erkennbar sind«, öffnen will. Mit der künstlerischen Umsetzung seiner Zeichnungen beauftragt Haeckel den Jenaer Lithografen Adolf Giltsch, der gelegentlich auch korrigierend eingreift, um die ästhetische Wirkung der Tafeln zu steigern. Im ersten Band veröffentlicht Haeckel auch eine Abbildung der Desmonema annasethe (Cyanea annasethe), eine besonders prächtige Qualle, die Haeckel nach seiner ersten Frau Anna Sethe benannt hat.

In der Ausstellung werden zahlreiche originale Zeichnungen Haeckels und eine Auswahl seiner Lithografien aus den Kunstformen der Natur gezeigt. Beide Varianten seiner Arbeiten, die aus der Beobachtung entwickelten Dokumentationen des Gesehenen wie auch die bildwirksam überarbeiteten Werke der »Kunstformen«, zeugen von einer Art der Wahrnehmung, die auf ästhetische Vollendung zielt. Das Natürliche ist ein Reich des Schönen, eine Schatzkammer harmonisch verwobener Strukturen, die durch die Vielfalt der Formen und die Effizienz der Mittel beeindruckt. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass auch heute lebende KünstlerInnen von diesen Werken fasziniert sind und zu eigenen Arbeiten angeregt werden. Dank der Sammlung Opitz-Hoffmann verfügt die Kunstsammlung Jena über einen großen Bestand an Werken, die im Grenzbereich zur Wissenschaft die ästhetischen Qualitäten der Natur ergründen oder diese mit Experimenten erforschen.

So arbeitet Nora Schattauer wie eine Laborantin in umfangreichen Versuchsreihen mit Mineralsalzlösungen, Silber, Chrom, Kupfer oder Eisen, die sie mit der Pipette auf spezielle Papiere aufbringt. Das Ergebnis sind serielle Reihungen in zarten Tönen, die natürliche Prozesse in abstrakten Bildern spiegeln. Eva-Maria Schön erforscht Bewegungsabläufe, bildet diese in manuellen Prozessen nach und fixiert damit Lebensspuren, deren Schönheit sich auch über deren Vergänglichkeit erklärt. Der Briefwechsel zwischen Nora Schattauer und Eva-Maria Schön reflektiert nicht nur deren Interesse an den Abbildmöglichkeiten natürlicher Prozesse, sondern auch ein Denken, das alles, was uns umgibt, einbezieht. Auch Robert Seidel gehört zu jenen, die dem Prozessualen auf der Spur sind. Seine Filme fließen, Konstanten sind Illusionen und zerplatzen in immer neue Möglichkeiten. Augenscheinlich stabiler sind jene Ordnungen der Dinge, die Mark Dion entwirft. Seine Wunderkammern sind magische Orte, an denen selbst das Profane geheimnisvoll aufleuchtet und an Vieldeutigkeit gewinnt. Auch bei Jochen Lempert gibt es ein Leben hinter den Dingen. Seine Fotografien zeigen Pflanzen oder Tiere und fragen nach dem Wesen der Dinge, nach deren und letztlich auch unserer Rolle.

  • Kunstsammlung Jena
    Markt 7, 077443 Jena
  • Öffnungszeiten:
    Dienstag, Mittwoch, Freitag 10–17 Uhr
    Donnerstag 15–22 Uhr
    Samstag und Sonntag 11–18 Uhr
  • www.kunstsammlung-jena.de