Yves Netzhammer. Concave Thoughts

Der Schweizer Künstler Yves Netzhammer ist bekannt für seine Animationsfilme und raumgreifenden Installationen. Einem größeren Publikum wurde er mit einer Arbeit für den Schweizer Pavillon der Biennale Venedig 2007 bekannt, in der sich Zeichnung, Architektur, Videoprojektion und Tonspur durchdringen. Netzhammer, der an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich visuelle Gestaltung studierte, trat Ende der 1990er Jahre zunächst als Gestalter und Illustrator in Erscheinung. Seine Illustrationen für das Wirtschaftsmagazin brand eins etwa sprengten alles, was herkömmlicherweise unter Illustration verstanden wurde und wird. Jetzt hat der diaphanes Verlag ein Buch ausschließlich mit Zeichnungen Netzhammers veröffentlicht.

Ungeachtet dessen, dass es in diesem Buch überhaupt nicht um Illustration geht: dies ist ganz sicher der wichtigste Beitrag zur Illustration der letzten mindestens fünfzehn Jahre. Vorausgesetzt, man ist bereit, der Illustration eine Weiterentwicklung zuzugestehen, die sie aus dem Ghetto des rein Abbildhaft-Narrativen herausführt, welches ohnehin, mehr als überfüllt – man schaue sich nur das hemmungslose Geplapper der Graphic Novel-Schwemme an –, unter Redundanz und Banalität zu kollabieren droht und bis auf weiteres eigentlich keine weiteren Zugänge mehr benötigt. – Bis mal jemand kommt, der wirklich etwas von visueller Narration versteht. Bezeichnend ist auch, dass diesen hoffnungsvoll stimmende Beitrag kein Illustrator, sondern ein Nicht-mehr-Illustrator liefert: wichtige Impulse kommen ja häufig genug nicht von innen, sondern von außen. Für den Designbereich Illustration gilt dies besonders, da er unter einer kaum noch zu unterbietenden Reflexionsarmut leidet, weshalb aus den eigenen Reihen auch kein frischer Gedanke zu erwarten ist. Der Titel des Buches markiert bereits den fundamentalen Unterschied Netzhammers zum größten Teil der Illustrationszene: er kann nicht nur denken, er will denken, und zwar in einem eigenen Stil, den er konkaves Denken nennt.

Das Buch enthält nicht ein Zeile Text; lediglich zwei Aufkleber auf Vorder- und Rückseite geben Auskunft über Autor, Titel und Verlag. Netzhammers Concave Thoughts – inwendige Gedanken – ist auf jeder Seite spannend, weil er erstens davon absieht, einen individuell-expressiven Strich zu kultivieren, an dem sich das Auge schnell satt sieht. Statt dessen konzentriert er sich voll und ganz auf die Linie. Zweitens findet und erfindet er motivische Kombinationen und Wendungen, die nicht im üblichen Sinne erzählen, sondern einer wilden Sprache gleichen, oder besser: das Wilde in der Sprache vorführen, wie es vielleicht nur mit Bildern möglich ist. Sicher, damit steht auch Netzhammer in einer langen Tradition des Capriccio, das er in der linearen Reduktion souverän ins Zeitgemäße hebt. Die Zeichnung, die Linie beherrscht etwas Einzigartiges: sie ist schon in ihrer einfachsten Ausführung eine Grenze, und als solche immer ein Ort der Begegnung und Verwandlung. Sie ist innen und außen zugleich, ein Zweifaches, ein Paradox; verliert dabei aber nie sich selbst. Es ist diese proto-narrative Launenhaftigkeit der Linie, die Netzhammer für sich zu nutzen weiß. Die völlig überstrapazierte Rede von der Bildsprache, ein Füllsel der Ahnungslosigkeit zumeist, hier, bei Yves Netzhammer, ist sie angebracht.

Ausgabe mit 32 verschiedenen Covern. 3200 unterschiedliche Zusammenstellungen der 32 Druckbögen mit jeweils 16 Seiten.

  • Yves Netzhammer. Concave Thoughts. 357 Digital Drawings
    512 Seiten, Broschur, 357 sw. Abb.
    Berlin: diaphanes 2016
  • € 30,00 / CHF 35,00