Das Leben ist auf zwei Kartons verteilt. Auf dem einen steht »öffentlich«, auf dem anderen »privat«. Den öffentlichen Karton kann man sich in etwa vorstellen wie den Socken-Grabbeltisch im Kaufhaus: Jeder, der will, kann darin herumwühlen, und gegen Ladenschluss sieht das Ding dann in der Regel aus wie Sau.
Der Geschäftsführer nimmt wenig Einfluss darauf, wer sein Geschäft betritt und in seinen Socken wühlt. In welchem Zustand sich der anfänglich adrette Tisch am Ende befindet, hängt von der Moral und Ordnungsliebe der Wühlenden und von der Atmosphäre, der Ausstrahlung des Kaufhauses und seiner Angestellten ab. Die Konditionen für den Umgang mit dem Grabbeltisch gedeihen teilweise über einen langen Zeitraum im Voraus.
Der private Karton entspricht einer Kiste mit edelstem Cognac, der unter dem Ladentisch sorgsam gehütet wird und nur mit ausgewählten Kunden, die man schon lange kennt oder zu kennen meint, vertrauensvoll geteilt und in bewussten Schlucken genossen wird. Im besten Fall weiß der Kunde diese Auszeichnung, dieses Geschenk, zu schätzen. Im unsympathischen Fall hingegen säuft er den edlen Tropfen wie Fusel, verlangt immerfort nach mehr, gibt das Geheimnis des Händlers preis und redet seine Waren im ganzen Viertel schlecht.
Glücklich oder frei ist, wer selbst bestimmen kann, zu welchem Zeitpunkt er was und wie viel in welchen Karton tut. Teilweise – und teilweise sehr – unterschiedlich sind unsere Auffassungen davon, was in unserem Leben, Handeln, Denken, Fühlen eher einem Paar preisreduzierter Socken und was dem feinen Cognac entspricht. Manch einer besitzt nach eigener Auffassung nur Socken – was nicht heißt, dass diese unbedingt auf dem Grabbeltisch landen. Andere schmuggeln gerne mal ein kostbares Kleinod unter die Wühlwaren. Dem einem reicht eine Streichholzschachtel für die öffentlichen Belange; bei jemand anderem ist ein Seecontainer für diesen Zweck noch zu klein.
Die Frage ist: Ist die Summe der Volumen von öffentlichem und privatem Karton – ungeachtet ihrer Relation zueinander – bei jedem Menschen gleich? Haben alle Leben das gleiche Volumen? Oder gibt es kleinere und größere Leben?
Diese Frage wird in SPRING #12 »Privée« nicht vollständig beantwortet – tatsächlich auch nicht gestellt. Stattdessen werden andere, nicht minder prekäre Fragen erörtert, manch seltsame Äußerung gewagt und verschiedene irritierende Umstände offen gelegt. Viel Vergnügen beim Wühlen.
Feinkunst Krüger zeigt zur Präsentation des zwölften Spring Magazins Arbeiten aller im Magazin vertretenen Künstlerinnen: Ludmilla Bartscht, Almuth Ertl, Katia Fouquet, Katharina Gschwendtner, Line Hoven, Carolin Löbbert, Sophia Martineck, Moki, Katrin Stangl, Maria Luisa Witte und Stephanie Wunderlich.
SPRING wurde 2004 in Hamburg gegründet. Seitdem erscheint jedes Jahr im Sommer ein neuer Band der Anthologie, der die unterschiedlichsten Arbeiten aus den Bereichen Comic, Illustration und freier Zeichnung zu jeweils einem Thema bündelt. Die Gruppe besteht seit Beginn ausschließlich aus Frauen und ist mittlerweile ein solides und wichtiges Netzwerk für Zeichnerinnen in Deutschland. Ab Ausgabe 12 erscheint SPRING im mairisch Verlag.
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