Nach dem MoMA New York in 2012 zeigt nun das EYE Filmmuseum Amsterdam in einer Ausstellung das Werk der amerikanischen Filmemacher, Bühnenbildner und Zeichner Stephen und Timothy Quay, besser bekannt als Quay Brothers. Neben einer Reihe von Filmen, darunter früheste Arbeiten aus dem Studium, sind auch Zeichnungen, Entwürfe und Dioramen mit Szenenbildern zu sehen. Zahlreiche Exponate aus dem Universum ihrer künstlerischen und wissenschaftlichen Inspirationsquellen ergänzen das Programm.
Universum ist eigentlich ein zu großes Wort für eine Ausstellung. In den unendlichen Weiten der Abstraktion verliert sich alles Konkrete. Und doch gibt es vielleicht keine bessere Abkürzung um Vorstellungen unüberschaubarer Vielfalt und individueller Eigenart mit denen eines Systems zu verbinden. Eines komplexen Systems mit unentdeckten Arealen, Winkeln und Zonen, dessen Charakter immer über das im Werk aktuell Sichtbare auf eine Unzahl weiterer Möglichkeiten hinausweist.
Es sind gerade diese verborgenen Gegenden, aus denen sich das Werk der Quays selbst zusammensetzt. Wenn von ihren Filmen gesprochen wird, fallen schnell Bezeichnungen wie traumhaft, geheimnisvoll, rätselhaft und düster. Allesamt Merkmale, die auch auf das Phantastische ganz allgemein zutreffen, dennoch haben ihre Filme mit den Fantasy-Blockbustern des Hollywood-Kinos kaum etwas gemein. Nicht nur verzichten die Quays auf Dialoge und eine handlungsbetonte Erzählweise, in den meisten Fällen scheinen sie auch auf eine lineare Abfolge von kausal (und seien sie magisch) miteinander verbundenen Ereignissen keinen Wert zu legen. Schlimmer noch erreichen die Filme mitunter einen Abstraktionsgrad, der mit dem Phantastischen vollkommen unvereinbar zu sein scheint. Denn zum Phantastischen gehört, wenn schon nicht das Abenteuer in fremden Welten, so wenigstens die Begegnung mit dem Unbekannten. Dieses bleibt zwar selbst in der kommerziellen Phantastik häufig unsichtbar und vage, seine Ausforschung, Abwehr oder Unterwerfung jedoch wird stets konkret und dramatisch inszeniert.
Ist also die scheinbar so nahe liegende Einsortierung ins Register des Phantastischen nichts als eine Fehleinschätzung? Täuschen die Filme der Quay Brothers etwa – in geradezu phantastischer Weise – über ihren wahren Charakter hinweg? Aber wie könnte das sein, wo doch die eben aufgezählten Attribute des Traumhaften, Geheimnisvollen usw. so offensichtlich zutreffend sind? Das Phantastische entzieht sich einer einfachen Definition; bereits bei einem oberflächlichen Blick auf dafür in Frage kommende Werke bemerkt man dessen Vielgestaltigkeit. So findet man im Mythos, Märchen und Fabel, in der Romantik, magischem Realismus und dem Surrealismus, in Science Fiction und Utopie, ja selbst in Satire und Karikatur Anteile am Phantastischen, ohne dass diese damit identisch wären.
Was also ist das Phantastische und wie steht das Werk der Quays dazu? Die einflussreichste Definition des Phantastischen hat wohl der russische Philosoph Tzvetan Todorov gegeben. »Das Phantastische«, schreibt Todorov, »ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem Ereignis gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlichen hat.« (1) Fällt dieser Mensch eine Entscheidung zu Gunsten der natürlichen Gesetze, wird das Geschehen dem Unheimlichen zugeschlagen. Erkennt er an, dass es andere als die natürlichen Gesetze gibt, befindet er sich im Reich des Wunderbaren. Das Phantastische verschwindet in dem einen wie dem anderen Fall. Dennoch drängen beide, so könnte man schließen, ins Phantastische, das eigentlich ein ungeklärtes Gemenge aus dem Wunderbaren und dem Unheimlichen ist. Auf Todorovs Definition kann hier nicht ausführlicher eingegangen werden, ich werde aber später darauf zurückkommen. Denn die Beziehung der Quayschen Filmkunst zum Phantastischen ist offensichtlich und verwickelt zugleich. Doch zurück zur Ausstellung.
Nägel, Schrauben, Käfer und siamesische Zwillinge
Zwar wird in The Quay Brothers‘ Universum nicht explizit die Frage nach dem Phantastischen gestellt, dennoch ist sie latent vorhanden, was dem aufmerksamen Besucher kaum entgehen wird. Man kann sagen, die Ausstellung umkreist das Phantastische, ohne es zu benennen. Das liegt, wie bereits festgestellt wurde, an dem ausgestellten Werk selbst, aber auch an den Inspirationsquellen, die in der Ausstellung ebenfalls präsentiert werden. Unter den grafischen, literarischen, musikalischen, filmischen und wissenschaftlichen Exponaten gibt es zahlreiche Arbeiten und Objekte phantastischen Charakters. So findet man die märchenhaft-wunderbare Seite des Andersartigen und Unbekannten in den Filmen des polnischen Stop-Motion-Pioniers Ladislas Starewitch (1882–1965) und die pathologisch-monströse – auch unheimliche – in medizinhistorischen Objekten wie dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Skelett siamesischer Zwillinge. Zwischen diesen Eckpunkten erstreckt sich das Reich des Phantastischen in den inneren Landschaften der Seele als ein (alb-)traumhaft abgründiges, aber auch als ein in der Alltagswelt offen daliegendes groteskes. Verborgen sind seine Areale in den dunklen Schatten der Nacht, eher unbeachtet entfaltet es sich im Wertlosen und Verlorenen, in Schmutz und Abfall. Und unter den mit optischen Apparaten ausgestatteten Augen der Wissenschaft tauchen immer neue Regionen des Phantastischen auf. Wer die Tierwelt nach Phantastischem absucht, wird nirgendwo fündiger als bei den Insekten. Die sechsbeinigen Wesen sind unter allem, was lebt, dem Menschen das Fremdeste. Sie können die Gestalt ändern und tragen ihr Skelett außen. Schon deswegen sind sie so leicht mit dem Tod, dem Unbekannten schlechthin, zu verbinden. Im Tod, auf den Knochen gebracht, ähnelt sich der Mensch dem Insekt in gewisser Weise an. Doch im Leben ist es nicht anders: die grazile Schönheit der faszinierenden Kerbtiere findet ihren Niederschlag in Masken und Mode. In den Vanitas-Darstellungen des 17. Jahrhunderts, der Zeit des Barock und der Wunderkammern, die im Universum der Quay Brothers eine prominente Stelle besetzen, gehören sie ebenfalls zum festen Repertoire .
Dass Insekten für das Phantastische im Allgemeinen und für die Filme der Quays im Besonderen eine wichtige Rolle spielen, wird der Besucher von Universum vielleicht nur erahnen. Doch schnell sind einige Beispiele gefunden: Ladislas Starewitch erzählt von The Queen of the Butterflies (1927) und Franz Kafka in Die Verwandlung (1912) von der Metamorphose des Gregor Samsa in ein ungeheures »Ungeziefer«. Die Erzählung diente als Vorlage für den von den Quays 2012 produzierten Animationsfilm Metamorphosis, wovon zwar ein schönes Diorama, nicht jedoch der Film selbst zu sehen ist. Insekten tauchen – zugegebenermaßen zwangsläufig – in der Historia Naturae (1967) des tschechischen Surrealisten Jan Švankmajer auf, vor dem sich die Zwillinge bereits 1984 mit ihrer Hommage The Cabinet of Jan Švankmajer verneigt haben; beide Filme werden hier ebenfalls gezeigt. In der Miniatur The Calligrapher (1991) sieht man eine Schar von Schreibfeder haltenden Hände übers Papier krabbeln. Eine Gottesanbeterin wiederum ist die zentrale Figur in der von den Zwillingsbrüdern 2010 adaptierten Erzählung Die Maske von Stanislaw Lem (1976, leider nicht in der Ausstellung). Und bereits in Street of Crocodiles (1986), jenem Werk, mit dem die Quays Filmgeschichte geschrieben haben und einem größeren Publikum bekannt wurden, findet man eine Reihe von insektenhaften Motiven; wenngleich dort die Krabbeltiere in reiner Gestalt nicht vorkommen. Vielmehr sind es rostige Schrauben und Nägel, die in einer berühmt gewordenen Sequenz übers staubige Terrain rollen und schließlich eine Taschenuhr attackieren, deren fleischgefülltes Inneres sie madenhaft durchbohren. Und selbst die zentrale Figur nimmt mit ihren übergroßen Augen und dem segmentierten Körper anatomische Anleihen bei einer Wespe.
Poesie, Abstraktion und Geheimnis
Abgesehen davon, dass eine Szene aus Street of Crocodiles für das Ausstellungsplakat verwendet wurde, erfährt ihr berühmtester Film im EYE keine besondere Behandlung, er wurde sogar etwas versteckt im hinteren Teil des Ausstellungsraumes platziert. Dennoch ist der Andrang vor dieser Leinwand am größten. Es ist schwer, sich der starken Anziehungskraft des Films zu entziehen, in dem eine düstere Visualität in präzis durchchoreografierte Bildern mit der Musik des polnischen Komponisten Leszek Jankowski geradezu zu verschmelzen scheint.
Trotzdem Street of Crocodiles die gleichnamige Erzählung des polnisch-jüdischen Schriftstellers Bruno Schulz, der in seiner phantastische Prosa das Unbekannte im Alltäglichen aufsucht, bestenfalls fragmentarisch wiedergibt, trifft der Film sehr genau deren Charakter. Schulz, der das Geschichtenerfinden als die eigentlich Aufgabe des Geistes ansah, kümmerte sich wenig um eine abenteuerliche Story, und die Quays folgen ihm darin. Bild, Musik und Bewegung stehen weniger im Dienst der Narration (und doch ist dies einer ihrer narrativsten Filme!) vielmehr entfaltet sich ein audiovisuelles Schauspiel von eigenem Recht. Das faszinierende Resultat verdankt sich der Gleichzeitigkeit von in gewisser Weise auseinanderstrebenden, oder besser gesagt, zueinander komplementären Konzepten: eine schwer durchschaubare elliptische Erzählung und ergreifende Bilder, Klänge, Bewegungen verschmelzen zu poetischen Klangbildern. Eine Formulierung des Literaturwissenschaftlers Hugo Friedrich über den Charakter der modernen Lyrik ist hier aufschlussreich: »Ihr Wortzauber und ihre Geheimnishaftigkeit wirken zwingend, obwohl das Verstehen desorientiert wird.« (2) Wortzauber wäre im vorliegenden Fall durch Bildzauber zu ersetzen. Hier wird eine Verbindung zur Poesie deutlich, welche mit der Phantastik mindestens die Dunkelheit des Geheimnisses teilt. Phantastik und moderne Lyrik entstehen in etwa zur gleichen Zeit. Hugo Friedrich sieht in Diderot und Rousseau die Vorboten einer Entwicklung, die mit Baudelaire ihren ersten vollwertigen Vertreter bekommt. Zwar liegen die Begründer der Phantastik, E.T.A. Hoffmann und Edgar Allen Poe bereits in ihren frühen Gräbern, als 1857 Baudelaires berühmter Gedichtband Les Fleurs du Mal erscheint. Er ist es aber, bei dem die Verschränkung von Lyrik und Phantastik ihre intensivste Gestalt findet. Poe wird sein alter Ego, er übersetzt ihn ins Französische, übernimmt von diesem zentrale Gedanken zur Poesie und entwickelt sie weiter. Beide, Phantastik und Lyrik, sind Ausdruck eines veränderten Weltbezugs, eines im Entstehen sich befindenden modernen Ich.
Anders gesagt, über das Geheimnis dringt die Poesie – und mit ihr auch die Abstraktion – in die Phantastik ein. Häufig gibt es bei den Quays nur ein (geradezu abenteuerliches) Spiel auf dem Register der Wahrnehmung, ein Spiel von Licht, Farbe, Form, Textur, Bewegung, Musik. – An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass Todorov Wahrnehmung zu den Kernthemen des Phantastischen zählt; womit sogleich der Zusammenhang von Geheimnis und Wahrnehmung, Traum und Wahnsinn angezeigt ist. – Das ästhetische Regime führt die Erzählung an, hebt sie auf und lässt sie fallen, wo es gerade passiert. Zwar lassen sich die wundersamen Ereignisse von Street of Crocodiles, die aus der Logik des Materials entstehen, noch in eine narrative Struktur fügen. Das Verstehen wird »desorientiert«, es wird nicht chancenlos überfordert, so sehr es auch als ordnende Instanz entbehrlich ist. Aus dem Material strömend, lässt der Sinn die Erzählung hinter sich. Aber für die Ängstlichen, denen leicht fröstelt, ist der Zugang zu ihrem wärmenden Schoß noch einen Spalt breit offen. Allemal interessanter ist es, die ästhetische Herausforderung anzunehmen und wagemutig ins Labyrinth zu schreiten wie Alice in den Kaninchenbau.

The Quay Brothers, ca. 1975.
Strawinsky, Janáček, Stockhausen
Die enge Verbindung von Bild und Musik ist kein exklusives Merkmal von Street of Crocodiles. Besucher der Amsterdamer Ausstellung finden bei jeder Projektion oder Bildschirmpräsentation Kophörer, aus denen fast ausschließlich Musik erklingt: Von den frühesten Anfängen her ist sie fester Bestandteil im Filmschaffen der Zwillingsbrüder. Im Grunde schreiben die Quays damit die Tradition des Stummfilms fort, der ja – wenigstens in der Vorführung – auch nicht stumm war, es waren nur keine Dialoge zu vernehmen. Ähnlich verhält es sich mit den Filmen von Jan Švankmajer, Walerian Borowczyk oder Jan Lenica, die man hier sehen kann. Auch sie verzichten auf Dialoge, verlassen sich ganz auf die Wirkung Bild und Klang. Nur gelegentlich wird ein knapper Text eingeblendet. Obwohl die Quays zunächst Illustration studierten, bevor sie sich in den frühen 1970er Jahren am Londoner Royal College of Art dem Film zuwandten, also vom gezeichneten Bild her kommen, haben sie sich selbst einmal als »failed composers« bezeichnet (3). Ohne Übertreibung lässt sich behaupten, dass viele Filme ohne Musik gar nicht erst entstanden wären. Und stets sind es Kompositionen der klassischen Avantgarde oder Werke zeitgenössischer Komponisten, die die Zwillinge für ihre Filme auswählen. Musik, die nicht erzählen will, die ihre eigene Materialität thematisiert. Bester Beleg dafür sind die Komponistenportraits von Strawinski und Janáček, die zu Beginn der 1980er Jahre entstanden (beide in der Ausstellung). Und dann natürlich das zur Komposition Two Couples (1992/1999) von Karlheinz Stockhausen entstandene Meisterwerk In Absentia (2000). Wenn überhaupt, dann kommt im EYE diesem Film eine herausgehobene Position zu.
Bei In Absentia handelt es sich übrigens ebenso wenig wie Street of Crocodiles um einen reinen Animationsfilm. In Absentia würde mancher ohnehin als live-action bezeichnen, schon wegen der menschlichen Hauptdarstellerin. Doch der Film enthält ebenso ausgedehnte wie ungewöhnliche Animationssequenzen: Die Quays animierten das Licht, so wird es selbst zu eine Art Darsteller. Bei Street of Crocodiles ist zwar der Hauptteil als Puppenanimation angelegt, aber eine live-action Szene leitet den Film ein. In dem einen wie anderen Fall wäre wohl die Bezeichnung Hybridfilm passender. Als weitere Beispiele wären etwa The Comb (1990), The Piano Tuner of EarthQuakes (2005) oder Through the Weeping Glass. On the Consolations of Life Everlasting (2011) zu nennen. Bei letzterem, einer Auftragsarbeit für die anatomische Sammlung des Mütter Museum Philadelphia – und leider auch nicht in der Ausstellung zu sehen –, handelt es sich um eine Art animierter Dokumentarfilm – mit durchaus phantastischen Zügen.
Phantastische Poesie?
Die Quay Brothers sind Sammler, Streuner, Flaneure, was nicht zuletzt an ihrem Interesse für die barocken Wunderkammern abzulesen ist. Wie dort entsteht in ihren Filmen das Phantastische aus dem Nebeneinander unzusammenhängender Teile – und natürlich auch aus den häufig spektakulär ungewöhnlichen Sammlungsstücken bzw. Motiven. Ihr Universum ist ein Sammelsurium, keine einheitliche Welt mit durchgängigen, wenn auch fremden Gesetzen. Nur weil der Betrachter an einer Stelle etwas wiedererkennt, was er an anderer schon einmal gesehen zu haben glaubt, bedeutet dies noch lange nicht, dass er sich am selben Ort befindet. Es kann sein, dass sich das Gesehene als Spiegelbild herausstellt, dessen Ursprung nie zu finden ist. Oder schlicht eine zufällige Ähnlichkeit mit etwas anderem aufweist. Er tut gut daran, jegliche Nachforschung zu unterlassen, seine Erinnerung nicht zu bemühen und sich ganz dem Labyrinth anzuvertrauen. Der Betrachter, und nun soll noch mal mit Todorov ein Ausblick auf das Phantastische gewagt werden, befindet sich gewiss auf einer Schwelle zwischen hier und dort, wo er in einen Zustand der Unschlüssigkeit versetzt wird. Was hingegen die Position dieser Schwelle angeht, so scheint Todorovs Definition zumindest angreifbar. Ein Ereignis mag den »Anschein des Übernatürlichen« haben und das nächste ebenfalls, ohne dass ihre Andersartigkeit auf die »natürlichen Gesetze« bezogen wären. Es geht um Wahrnehmung, jedoch nicht um deren Bewertung entweder als Fehleinschätzung eines realen Ereignisses oder Produkt der Einbildungskraft. Wir haben es mit der Wirklichkeit der Sensationen zu tun, mit einem bloßen Erscheinen. Hier unternehmen die Quays den Schritt ins Poetische und verlassen damit, folgt man Todorov, das Phantastische. Seiner Ansicht nach verträgt das Phantastische weder eine allegorische noch eine poetische Lesart. Denn anders als das Phantastische ist das Poetische nicht darstellend, es erzählt nichts, weshalb er zu dem Schluss kommt, »die Poesie kann nicht phantastisch sein.« (4) Mit der Allegorie wird er nicht so schnell fertig, sondern unterscheidet mehrere Stufen, von denen eine sogar die Unschlüssigkeit zwischen allegorischer, also übertragener, und wörtlicher Lesart zulässt. Eine Möglichkeit, die er im Fall der Poesie nicht einräumt. Aber ist dies nicht genau die Position der Quays? Stehen sie nicht auf der Schwelle zwischen Fiktion und Poesie? Und weiter: ist es nicht gerade die Poesie, die maßgeblich zur phantastischen Stimmung, zu dessen Atmosphäre beiträgt? Ignoriert Todorovs Konzept der Unschlüssigkeit nicht diesen zweifellos wichtigen Aspekt, der im Film, da hier ein anderes Register an – man könnte sie Atmosphärenmarker nennen – zur Verfügung steht, noch stärker in den Vordergrund tritt als in der Literatur, an der er seine Gedanken entwickelt? Todorov arbeitet mit Stimmungen, ohne diesem Umstand Bedeutung beizumessen: sowohl das Wunderbare als auch das Unheimliche sind intensive Atmosphären. Ebenso das Unschlüssige des Phantastischen. Die semiotische Schranke zwischen Repräsentation und nicht Repräsentation verhindert nicht deren gegenseitige Kontamination, das Ineinanderfließen der Atmosphären. Und nichts spricht dagegen, mittels Poesie phantastische Atmosphäre herzustellen. Um der vielstimmigen Verschränkung von Phantastik und Poesie gerecht zu werden, um der intensiven Atmosphäre, die The Quay Brother’s Universum auszeichnet, wird man notwendig über Todorov hinausgehen müssen.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Essay von Suzanne Buchan, die auch Autorin der bislang einzigen Monographie über die Quay Brothers ist.(5) Es empfiehlt sich, wenigstens drei Stunden für den Ausstellungsbesuch einzuplanen.
Suzanne Buchan, Jaap Guldemond, Marente BloemheuvelThe Quay Brothers‘ Universum
EYE Filmmuseum Amsterdam, 2013
Distributed by nai010 publishers
Paperback, 144 Seiten, Farbe, zahlr. Abbildungen
Englisch
19,50 EUR (1) Tzvetan Todorov: Einführung in die phantastische Literatur, Berlin: Wagenbach 2013 [1970], S. 34. (2) Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik, Rowohlt: Reinbek bei Hamburg 2006 [1956], S. 15) (3) In einem Interview mit Thyrza Nichols Goodeve: Thyrza Nichols Goodeve: Dream team: the Brothers Quay, Artforum International, Apr 1, 1996, http://www.thefreelibrary.com/_/print/PrintArticle.aspx?id=18387598. (4) Todorov, S. 78. (5) Suzanne Buchan: The Quay Brothers. Into A Metaphysical Playroom, Minneapolis: The University of Minnesota Press 2011.