Von Andreas Rauth
Den amerikanischen Künstlern Quay Brothers gelang 1986 mit dem Animationsfilm Street of Crocodiles ein Werk von verstörender Schönheit, das sie einem größeren Publikum bekannt machte. Seitdem haben die Quays zahlreiche Projekte vom Animationsfilm über Live-Action- und Dokumentarfilm bis hin zum Bühnenbild realisiert. Weniger bekannt ist, dass sie ihre Karriere als Illustratoren begannen. In den 1970er und 80er Jahren entstand eine Reihe von Zeichnungen, die sogenannten Black Drawings, denen die Galerie Tommy Simoens in Antwerpen nun eine eigene Ausstellung widmet.
Zur Vorgeschichte gehört, dass die Quay Brothers in ihrer Heimatstadt Philadelphia Ende der 1960er Jahre Illustration studierten, bevor sie nach London ans Royal College of Art gingen und sich dem Animationsfilm zuwandten. Wenngleich sie selbst den Stift weitgehend aus der Hand gelegt haben, so ist das Still doch bis heute Bestandteil ihrer filmischen und bühnenbildnerischen Arbeit. Oft sind es einzelne Motive der Kunstgeschichte, die zur Startrampe für komplette Projekte werden, etwa Jean-Honoré Fragonards Der Riegel (1778) für Rehearsals for Extinct Anatomies (1987), oder René Magrittes Das Reich der Lichter (1954) für The Piano Tuner of Earthquakes (2005).
Der Großteil der Black Drawings entstand in den Jahren 1974–77, erstmals gezeigt wurden sie allerdings erst 2010 im Rahmen der von Luc Tuymans kuratierten Ausstellung The Reality of the Lowest Rank – A Vision of Central Europe. Edwin Carels, der bereits den Katalogtext für die Ausstellung Quay Brothers: On Deciphering the Pharmacist’s Prescription for Lip-Reading Puppets 2012 im Museum of Modern Art New York beisteuerte und der u.a. für das Deep Focus-Programm des International Film Festival of Rotterdam verantwortlich zeichnet, hat die am 30. November eröffnete Ausstellung Curfews1)curfew, zu deutsch nächtliche Ausgangssperre. Matthew Beaumont schreibt in seiner Studie Nightwalking: A Nocturnal History of London Chaucer to Dickens: »William the Conqueror had instated a national curfew in England in 1068 when he ruled […] that ›a bell should be nightly rung at eight o’clock, and that all people should then put out their fire and candle, and take their rest‹. Doctors, midwives, priests and veterinarians – ‘persons on missions of life or death’‹ […] were exempt from this regime in exceptional circumstances. So were those who collected and sifted the city’s waste. All other citizens were to be safely confined at home. Fires were to be covered in order to prevent conflagrations – the word ‘curfew’ is derived from the French couvre-feu. But, equally important, the curfew served both to preempt political conspiracies, which the authorities thought were most likely to be cooked up after dark, and, above all perhaps, to preserve regular hours, in order to promote industry and piety.« Matthew Beaumont, Nightwalking: A Nocturnal History of London Chaucer to Dickens, London: Verso 2015, E-Book (sorry, no page number). für die Tommy Simoens Galerie kuratiert. Schon seit vielen Jahren befasst sich der Belgier mit den wechselseitigen Beziehungen von Kunst und Film. Die Arbeiten der Quays geben einen Untersuchungsgegenstand wie geschaffen für Carels, und was zunächst wie Beifang erscheinen mag – schließlich kennt und schätzt man sie vor allem als Stop-Motion-Pioniere –, zählt tatsächlich zum Kern ihres künstlerischen Universums.
Die mittelformatigen Black Drawings zeigen Szenen einer düsteren Urbanität, in denen einsame Protagonisten verloren vor anonymen Kathedralen der Moderne agieren. Weit gebogene Laternen und Oberleitungsmasten für Straßenbahnen gehören zu den wiederkehrenden Details. Ein kurzer Blick auf zeitlich so entlegene Filme wie Street of Crocodiles (1986) und Kwartet Smyczkovy – Paraphrase on Peter Handke’s »The Hour We Knew Nothing of Each Other« (2013) zur Musik von Witold Lutoslawski belegt, dass die Zeichnungen eine Nachgeschichte haben; sie sind wichtiger Bestandteil eines Ideenreservoirs, das sich bis in die jüngsten Arbeiten hinein entfaltet.
Neben den Originalzeichnungen sind auch vier Druckgraphiken von Motiven der Black Drawings-Serie zu sehen, die in einer 35er Auflage produziert wurden. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Auflagenhöhe in Anlehnung an das 35mm Filmformat gewählt wurde. Außerdem haben die Quay Brothers eigens für die Ausstellung eine Reihe von Dioramen angefertigt.
Wie Szenenentwürfe zu noch nicht realisierten Filmen wirken die Dioramen, in denen die Zwillinge Themen aus ihrem sich beständig ausdehnenden Kosmos verarbeitet haben. Die unter Glaskuppeln hergerichteten Miniaturen bringen den zeitlichen Aspekt, der das gesamtes Werk durchzieht, in besonderer Weise zum Ausdruck: Scheinbar läuft diese bei ihnen rückwärts – die Musealität, wie sie den Dioramen zu eigen ist, geht dem Werk immer schon voraus.
Die Künstler selbst hätten die Zeichnungen wohl unter Verschluss gehalten. Somit ist der Initiative Carels zu danken, dass dieser wichtige Beitrag ihres Schaffens eine entsprechende Präsentation und Würdigung bekommt. Am 28. Januar stellen die Quay Brothers gemeinsam mit Edwin Carels das von Tommy Simoens publizierte Buch The Quay Brothers: The Black Drawings. Philadelphia Pennsylvania 1974–1977 in der Galerie vor. (Rezension hier auf Jitter)
- The Black Drawings, Philadelphia Pennsylvania 1974–1977;
edited and written by Edwin Carels;
published by Ludion and Tommy Simoens
- Tommy Simoens, Waalsekaai 31, BE-2000 Antwerp
- open: Wed–Sat 1–5pm
- tommysimoens.com
Anmerkungen
1. | ↑ | curfew, zu deutsch nächtliche Ausgangssperre. Matthew Beaumont schreibt in seiner Studie Nightwalking: A Nocturnal History of London Chaucer to Dickens: »William the Conqueror had instated a national curfew in England in 1068 when he ruled […] that ›a bell should be nightly rung at eight o’clock, and that all people should then put out their fire and candle, and take their rest‹. Doctors, midwives, priests and veterinarians – ‘persons on missions of life or death’‹ […] were exempt from this regime in exceptional circumstances. So were those who collected and sifted the city’s waste. All other citizens were to be safely confined at home. Fires were to be covered in order to prevent conflagrations – the word ‘curfew’ is derived from the French couvre-feu. But, equally important, the curfew served both to preempt political conspiracies, which the authorities thought were most likely to be cooked up after dark, and, above all perhaps, to preserve regular hours, in order to promote industry and piety.« Matthew Beaumont, Nightwalking: A Nocturnal History of London Chaucer to Dickens, London: Verso 2015, E-Book (sorry, no page number). |