Anime, japanische Trickfilme, sind seit einigen Jahren nicht mehr nur bei Fans beliebt, sondern gewinnen mit ihren Inhalten und ihrer Ästhetik zunehmend Einfluss auf den Mainstream der globalen Popkultur. Mit «Proto Anime Cut. Zukunftsvisionen im japanischen Animationsfilm» zeigt das Cartoonmuseum Basel zum ersten Mal in der Schweiz die wichtigsten Künstler und prägenden Themen des Genres und bietet Einblicke in den aufwendigen Entstehungsprozess der Filme.
Anime sind japanische Animationsfilme, die auf der Ästhetik und den Themen der hierzulande noch bekannteren Manga aufbauen. Anspruchsvolle Anime sind künstlerisch hochstehend, sie spielen oft in einem Science-Fiction-Rahmen und befassen sich mit gesellschaftlichen Fragen, Zukunftsahnungen und Mensch-Technik-Interaktionen. Im Westen bekannt sind die erfolgreichen Anime «Akira» (1988), «Ghost in the Shell» (1995) und «Neon Genesis Evangelion» (1995), die sich mit Gesellschaften der Zukunft befassen und als experimentelle Projektionsfläche für Fantasien und Utopien faszinieren. Themen wie der technische Fortschritt, die Urbanisierung und die Folgen des Wirtschaftswachstums in Japan scheinen uminterpretiert in der Zukunft auf und werden so verarbeitet. Diese Filme prägen bis heute die Vorstellungen vom visuellen und narrativen Stil von Anime und bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung. Die handelnden Figuren und äusserst aufwendigen Szenerien werden ebenso thematisiert wie die Inhalte, Mechanismen und Möglichkeiten gezeichneter japanischer Science-Fiction.
Meilensteine des animierten Films
Trickfilme entstehen durch Arbeitsteilung, also unter der Beteiligung unterschiedlichster Künstler. Gleichzeitig werden sie von prägenden Personen gestaltet. Die Ausstellung zeigt Künstler aus verschiedenen Disziplinen, die wesentlich dazu beigetragen haben, den typischen Stil von Anime zu etablieren. Die vorgestellten Regisseure und Illustratoren Hideaki Anno (Art Director, «Neon Genesis Evangelion»), Haruhiko Higami (Fotograf), Koji Morimoto (Art Director, «Dimension Bomb»), Hiromasa Ogura (Art Director), Mamoru Oshii (Art Director, «Patlabor», «Ghost in the Shell») und Takashi Watabe (Layout) eint ihr Interesse an realistischer Konstruktion möglicher Weltbilder und wirklichkeitsnahen Visionen zukünftiger Städte und Landschaften. Diese Künstler gehören zu einer Generation von Illustratoren, die noch fast ausschliesslich von Hand zeichnete und den typischen Animestil massgeblich geprägt hat.
Einblick in den künstlerischen Arbeitsprozess
Die Ausstellung zeigt zahlreiche, der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugängliche Originalzeichnungen und -skizzen, Studienmaterial, Inspirationsquellen und eine Reihe weiterer Originalobjekte aus dem Herstellungsprozess der Filme und präsentiert die entsprechenden Filmausschnitte. Ganz am Anfang durchläuft eine Anime-Produktion Prozesse kreativer Erfindung, lässt neue Welten entstehen und wird durch künstlerische Entscheidungen geformt. In diesen subjektiven Momenten eines ansonsten formalisierten und industrialisierten Prozesses wird der narrative Stoff gewoben, aus dem schliesslich die kleinen und grossen Geschichten der filmischen Vision entwickelt werden. Die ausgestellten Arbeiten sind vor allem Zeugnisse dieser kritischen und erfindungsreichen Phase der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und ästhetischen Themen und sind für ein breites Publikum genauso faszinierend wie für eingeschworene Fans. «Proto Anime Cut» präsentiert diese Arbeiten als das, was sie sind: Zeugnisse eines individuellen und äusserst inspirierenden künstlerischen Schaffens an der Grenze von Film, bildender Kunst und Popkultur.
Animationsfilme als gesellschaftskritische Auseinandersetzung
Ein Höhepunkt der japanischen Trickfilmkunst ist sicherlich Katsuhiro Otomos Film «Akira»,
der 1988 dem japanischen Anime zu internationaler Anerkennung verhalf. Er basiert auf Otomos gleichnamigem, insgesamt 2000 Seiten umfassenden Manga-Epos, das die Sehgewohnheiten und Vorbehalte gegenüber den künstlerischen Möglichkeiten von Zeichentrickfilmen einer ganzen Generation von Kinobesuchern grundlegend veränderte. Als «Akira» 1988 veröffentlicht wurde, befand sich die japanische Wirtschaftsblase auf dem Höhepunkt. Der Film reflektiert die grundsätzliche Befürchtung, dass die kapitalistischen Fundamente, auf denen Japan nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet wurde, am Ende doch nicht so stabil sein könnten wie angenommen. Sowohl der grosse Erfolg von «Akira» als auch der Realismus von «Patlabor» und «Ghost in the Shell» sowie die Glaubwürdigkeit von «Neon Genesis Evangelion» hängen vor allem mit der erstklassigen und detaillierten Darstellung Tokios als Bühne der Geschichten zusammen.
Die Ausstellung wird von einem vielfältigen Vermittlungsprogramm mit Vorträgen, Gesprächen, Führungen und Workshops begleitet.