Im Vorraum der Erzählung

Prä-narrative Zeichnungen, Objekte, Installationen
von Lars Henkel, Falk Nordmann, Andreas Rauth, Jan Sieber 
zu Kompositionen von Sonic Ensemble/Thomas Kallweit

Informationen zur Ausstellung

Was findet man im Vorraum der Erzählung? Hier lagern die Entwürfe, Ideen und Inspirationen. Hier treffen Tagesereignisse, Erinnerungen, Nachrichten und Gespräche aufeinander. Alle Bestandteile sind noch weitgehend unbestimmt in ihren Beziehungen und ihrem Ausdruck. Figuren, Gedanken und Atmosphären, Stimmungen und Konzepte schweben in einer Art chaotischer Ursuppe. Es ist ein Möglichkeitsraum der Orte, Zeiten, Personen und Handlungen. Noch ist unklar, welche Erzählung sich entwickeln wird, welche Stränge sich entfalten werden und welche in ihrer Potentialität verbleiben. Im Vorraum der Erzählung ist die Erzählung noch plural; sie ist nicht eine, sondern viele – wie viele lässt sich nicht sagen, wahrscheinlich ist die Menge unendlich. Multiperspektivisch und offen, präsentiert sich der Vorraum der Erzählung ohne einheitlichen Fluchtpunkt. Das macht diesen Ort so interessant, vielleicht sogar interessanter als die Erzählung selbst.
Die Ausstellung Im Vorraum der Erzählung zielt auf die Darstellung der kreativen Prozesse und Methoden, die für die Entwicklung fiktionaler Erzählungen notwendig sind. In Auseinandersetzung mit der Musik von Sonic Ensemble/Thomas Kallweit, die als eine Art akustischer Zettelkasten schon Teil der Vorbereitung war, zeigen die Arbeiten notwendige Bestandteile für nie ausgeführte Erzählungen. Überlegungen zu Thema und Personal der Erzählung, zur zeitlichen und räumlichen Lokalisierung und zur materiellen Ausstattung der Zeitorte gehören ebenso dazu wie Gedanken zur Erzählstruktur und den Bedingungen des Erzählens überhaupt. Auf diesem Wege werden neue Methoden des Erzählens experimentell erforscht.

Beteiligte Künstler

Thomas Kallweit | Sonic Ensemble

Komponist und Autor, geboren 1964 in Düsseldorf. Für das Instrumentalmusikprojekt Sonic Ensemble entstehen auf der Basis von unterschiedlichstem Quellmaterial Stücke mit wechselndem Fokus: mal gibt ein klares Kompositionsschema die Klangstruktur vor, mal wird der Improvisation mehr Raum gegeben. Allen Stücken gemeinsam ist die Idee einer Erzählung, die aber niemals ausformuliert, sondern stets nur angedeutet wird. Für die Ausstellung Im Vorraum der Erzählung wurden hauptsächlich »klassisch« instrumentierte Arbeiten ausgewählt, die zwischen Aleatorischem, Romantischem und »Neuer Musik« angesiedelt sind.
www.musik-und-text.de

Lars Henkel

International Holy Mass of Perception Disorder
Digitale Collage, pigmentierter Druck, mp3-Player, Kopfhörer

Zeichner und Illustrator, geboren 1973 in Rom, wuchs in Bonn auf und studierte Illustration an der Fachhochschule Aachen. Danach folgte ein Aufbaustudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln. 2007 – 2008 Fellowship an der Akademie Schloss Solitude. In den letzten Jahren unterrichtete er als Dozent für Illustration an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel sowie an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Lars Henkel lebt und arbeitet als freischaffender Illustrator für internationale Kunden in Köln.
Lars Henkel setzt ganz auf die Atmosphäre der Musik. Er übersetzt das Stück International Holy Mass of Perception Disorder in ein Panorama assoziativ miteinander verknüpfter Motive. Dabei bedient er sich einer Mischtechnik aus Zeichnung und digitaler Collage mit reduzierter Farbigkeit, die vor allem auf den Aspekt der Erinnerung als notwendige Voraussetzung für das Erzählen aufmerksam macht.
www.reflektorium.de

Falk Nordmann

Search Find Delete
12 x 202 Zeichnungen, Holzpodest, mp3 Player, Kopfhörer

Zeichner und Illustrator, geboren 1965 in Sélestat. Aufgewachsen in Hamburg & Nordniedersachsen. 1983 – 1986 Illustrations– und Kommunikationsdesign-Studium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). 1987–1998 Hagen/NRW: Dort Mitbegründer der »Kooperative K«/Ateliergemeinschaft & Produzentengalerie. 1998 Umzug nach Berlin. Seit 2007 Buchgestaltung & Illustrationen für den Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Falk Nordmann reflektiert in seiner Arbeit den erzählerischen Prozess als Rückkopplung. In einer zweiteiligen Arbeit zu der eine Serie von 202 Zeichnungen gehört, auf denen jeweils ein und dieselbe stilisierte Figur beim Lesen oder Betrachten eines Textes oder Bildes zu sehen ist, während sie gleichzeitig über Kopfhörer Musik hört. Die verschiedenen Versionen, von denen je eine positiv schwarz auf weiß und eine negativ ist, zeigen stets neue Ereignisse des Wahrnehmungsprozesses in Form abstrakt-figurativer Veränderungen. Betroffen ist vor allem das Gesicht, mitunter wird aber auch der gesamte Leibraum erfasst.
Der zweite Teil der Arbeit besteht aus einem Lesepult mit integriertem mp3-Player und Kopfhörern, an das sich der Hörer/Betrachter stellt, vor sich einen Stapel eben jener Zeichnungen. Er befindet sich also in der darauf dargestellten Situation und kann sich selbst hörend, sehend, fühlend mit Klang, Bild und Atmosphäre als Teil der Konfiguration rekonfigurierend begreifen. Der Prozess der Wahrnehmung wird zu einem erzählerischen Prozess.
www.falknordmann.de

Andreas Rauth

The Body of Speech | Uncertain Gate
Acryl auf Leinwand und Kapa, pigmentierter Druck auf Papier, Holz, Büttenpapier, PVC, rote Tusche, mp3 Player, Kopfhörer

Gestalter und Kulturwissenschaftler, geb. 1965 in Itzehoe, Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK) an der Universität der Künste Berlin (UdK), arbeitet im Spannungsfeld von Bild Körper Narration. 2006 gründete er die Zeitschrift Jitter. Magazin für Bildkultur, seit 2011 Lehrauftrag für Visuelle Narration an der UdK, Konzeption von Ausstellungen und Veranstaltungen im Kunst- und Kulturbereich, Texte zur Kunst und Visual Culture, lebt und arbeitet in Berlin.
In der mehrteiligen Arbeit von Andreas Rauth werden Vorgänge der Formentstehung und -suche Elementen klassischer Erzählung gegenüber gestellt. Die Titel der Kompositionen The Body of Speech und Uncertain Gate tauchen zunächst als in großformatige Testbilder integrierter Text auf und machen damit auf die technischen Bedingungen aufmerksam, wie sie etwa für Film- und Fernsehproduktionen gelten, welche sich wiederum auf die erzählerische Form auswirken. In die Testbilddarstellung von Uncertain Gate mischen sich bereits einfachste organische Formen, wo-

mit auf den Blick in ein Mikroskop angespielt wird, der als Blick in einer ansonsten nicht zugängliche Welt mit der erzählerischen Fiktion korrespondiert.
Weitere sechs kleinformatige Arbeiten thematisieren den Raum als Bedingung des Erzählens. Hier kommen entwickeltere Formen bis hin zu kompletten Architekturen zur Darstellung, welche dennoch durch geringe Kontraste oder Unschärfe eher in der Andeutung verbleiben. In vier der sechs Motive sind Textschnipsel wie »… und plötzlich« oder »…gerade als …« integriert, die für Abenteuererzählungen typisch sind.
Ein aus vier Rundhölzern, einer Bodenplatte sowie einer durchsichtigen Kunststoff-Halbkugel, roter Tusche und drei Etagen Büttenpapier bestehendes Objekt veranschaulicht die klassische Erzählstruktur von Anfang–Mitte–Ende und verweist über die als Textelemente eingefügten Begriffe »Sprache«, »Erinnerungsvermögen«, »Zeitempfinden« und »Phantasie« auf die Bedingungen des Erzählens überhaupt.
www.erdteil.de

Jan Sieber

Melanie Simon Wants
call me maybe / electronic lipstick drawwwings
Spiegel, Telefon, Internet und Lippenstift

Ingenieur und Medienkünstler, geboren 1975 in Heilbronn, studierte Medientechnologie und Medienproduktion. Von 2005 – 2011 war er Leiter des Labors für Physical Computing an der Bauhaus Universität Weimar. Gründung von interactions.cc, Ingenieurbüro für interaktive Installationen, multimodale Systeme und multimedia environments in Weimar. Zusammen mit dem Medienkünstler Ralph Kistler entwickelt er das interaktive Projekt Monkey Business. Teilnahme an internationalen Medienkunstfestivals.
Jan Siebers für die Ausstellung entwickelte, interaktive Installation call me maybe generiert »electronic lipstick drawings« auf Basis der Komposition Melanie Simon wants. Über die Dauer des Stücks wird ein per automatischer Suchabfrage gefundenes Bild aus dem Internet geladen und aus Rasterpunkten aufgebaut, deren Größe sich je nach Betrachterabstand ändert. Am Ende wird per Script ein Screenshot erstellt und auf flickr hochgeladen. Die gesamte Bildserie enthält narrative Keimzellen mit Hinweisen darauf, was der unvollständige Titel offen lässt: nämlich was Melanie Simon möchte.
www.interactions.cc