Poetiken des Materials

Die Ausstellung Poetiken des Materials versammelt mit Benjamin Hirte, Sonia Leimer, Christian Kosmas Mayer, Mathias Pöschl, Anne Schneider sowie Misha Stroj und Michael Hammerschmid sieben in Wien lebende Künstlerinnen und Künstler. Für den Direktor des Leopold Museum, Hans-Peter Wipplinger, ist diese neue Programmschiene der Präsentation aktuellster Kunst wichtiger Bestandteil für das Gesamtkonzept des Hauses.

»Museen als Magazine des Vergangenem müssen sich stetig wandeln und können diesbezüglich enorm vom Dialog mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern profitieren, indem sie Geschichte und Gegenwart sinnvoll verknüpfen. Nicht nur aus Gründen einer dynamischen Aufladung von Inhalten im Kontext eines gegenwärtigen gesellschaftlichen Umfeldes, sondern auch aus einem Selbstverständnis als Vermittlungs- und Diskursinstanz, wollen wir die Geschichte der Gegenwart in unserem Haus fortschreiben, erweitern und die eingeladenen künstlerischen Positionen im Zuge der Ausstellung einer großen Öffentlichkeit vorstellen«, so Wipplinger.

Gemeinsam ist den vorwiegend neu produzierten Arbeiten der präsentierten Künstlerinnen und Künstler der Einsatz vorgefundener Objekte, Alltagsgegenstände und ›kunstfremder‹ Materialien. Diese werden als Träger kultureller Bedeutungsgehalte hinterfragt. Eingebunden in die Struktur der skulpturalen und installativen Kunstwerke werden ihre Ästhetik und Geschichtsträchtigkeit freigelegt sowie ihr semantischer Gehalt analysiert – und dies häufig auf der Basis eines spielerischen Wechselverhältnisses von Material und Sprache. »Meint Poetik im herkömmlichen Verständnis die Untersuchung der sprachlichen Strukturen literarischer Werke, fragt die ›Poetik des Materials‹ danach, wie dem Material und materiellen Phänomenen von den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern konzeptuell begegnet wird, wie diese in die Struktur von Kunstwerken eingebunden werden, wie weit sie in Analogie zur Sprache oder zu kulturellen Narrationen gedacht werden und welche Aussagekraft des Materials darüber freigelegt wird.« (Stephanie Damianitsch, aus dem Katalog zur Ausstellung)

Die Frage nach dem Verhältnis von Material und Sprache stellt Benjamin Hirte mit Arbeiten, welche an einer Grenzlinie balancieren, die Schrift in reine Visualität kippen lässt und Skulpturen in abstrakte (Schrift-)Zeichen verwandelt. Die verwendeten Materialien nehmen diesbezüglich eine entscheidende Rolle ein. Eindringlichstes Beispiel hierfür ist das vom Künstler selbst entworfene Alphabet, dessen Buchstaben A und E in seiner Installation für das Leopold Museum als Bodenskulpturen ausgeführt sind. Die verwendete PVC-Folie und die Aluminiumplatten evozieren Alltagsgegenstände wie Schwimm- oder Ablaufbecken. Diese sind in Analogie zur sprachlichen Funktion von Hirtes Buchstaben gedacht, die vom Künstler als Sammelbecken unterschiedlichster Bedeutungsebenen angesehen werden.

Auch Misha Strojs in Zusammenarbeit mit Michael Hammerschmid entstandene Arbeit Schönheit Is a Verb thematisiert den Zusammenhang von Objekthaftigkeit und Sprache, den Stroj und Hammerschmid in einem mehrmonatigem E-Mail-Dialog erkundeten. Ihre Installation ist Materialisation des Gesprächsverlaufes und tritt damit als Speicher seiner Inhalte in Erscheinung. Schriftliche wie materielle Referenzen zu Inhalten des E-Mail-Dialoges – seien es Bruchstücke aus dem Gespräch oder Hammerschmids Gedichten, Bezüge zu realen Erlebnissen ebenso wie Werke aus der Sammlung des Leopold Museum – sind auf assoziative Weise in die begeh- und lesbare Konstellation verwoben. Gleichzeitig Gedicht wie Skulptur ist diese sowohl nach sprachlichen Parametern ›gebaut‹ als auch in den Raum ›geschrieben‹.

Referenzen zu Kunstwerken der Sammlung des Leopold Museum nehmen auch in Christian Kosmas Mayers Videoarbeit Gedächtnispalast – die gemeinsam mit einem Teil der Installation Schönheit Is a Verb von Stroj und Hammerschmid den Auftakt der Ausstellung bildet – eine wichtige Rolle ein. In dem Video inszeniert Mayer das Leopold Museum als Gedächtnispalast. Dieser Begriff bezeichnet eine mnemotechnische Methode, welche im Fall von Mayers Arbeit dazu dient, sich die Reihenfolge eines 52-teiligen Kartenspieles einzuprägen. Hierzu wurden die einzelnen Karten in Bildvertreter umgewandelt und in Dialog zu Werken der Sammlung – selbst Zeugen »bewahrter Geschichte« – gesetzt. Diese subtilen Verschiebungen und Durchdringungen von Geschichten und Funktionen konkreter Orte und Objekte prägen auch die weiteren Arbeiten seiner Installation für das Leopold Museum.

Das Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden materiellen Umwelt steht hingegen im Mittelpunkt der Werke von Anne Schneider. Mit entsprechend sozial konnotierten Materialien richtet sie ihr Augenmerk auf die durchlässige Grenze zwischen psychischem und physischem Raum. Dem Spiel mit der Opposition von Innen und Außen kommt dementsprechend in ihren Skulpturen aus Beton, die als Negative textiler Gussformen Gestalt gewinnen, ein hoher Stellenwert zu. Dem Denken in Gegensatzpaaren, wie es die binäre sprachliche Logik und die konventionelle Wahrnehmungsweise der Realität bestimmt, setzt die Künstlerin mit ihrer Arbeit ein vielschichtiges Netzwerk von Beziehungsgeflechten und Zustandsbeschreibungen entgegen.

Sonia Leimer greift auf Folien, die für die Weltraumfahrt entwickelt wurden ebenso zurück, wie auf Asphalt und andere Fragmente des städtischen Raumes. Diese überführt Leimer in abstrakte Skulpturen und Installationen, die als ›Platzhalter‹ für die mit den Materialien assoziierbaren kulturellen Bedeutungshorizonten fungieren. Im Zentrum ihres Beitrages für die Ausstellung steht die Skulptur der Werkgruppe Eroberung des Nutzlosen, welche auf eine historische Versuchsanordnung referiert und von der Künstlerin performativ gedacht wird. Performanz bezeichnet in Leimers Werk den Modus des verfremdenden Zitates und bezieht sich auf die für ihr Werk bezeichnende Strategie, kulturell konnotierte Materialien, Gegenstände und historische Bildformen auf die ›Bühne‹ ihres Werkes zu stellen, um diese zum Ausgangspunkt einer neuen, persönlichen Geschichtsschreibung zu machen.

Als Bühne ist Mathias Pöschls Installation o. t. (abandoned stage set for a black mass) konzipiert, mit welcher er mit Bezug auf die kulturellen Parallelphänomene der Minimal Art und der ›Black Aesthetic‹ in den USA der 1960er-Jahre, den Begriff der Theatralität umkreist. Der Titel der einer minimalistischen Ästhetik verpflichteten Installation deutet an, dass es sich um jene Bühne handelt, auf der Amiri Barakas Einakter A Black Mass (1966) aufgeführt werden soll. Doch wird das Stück des einflussreichen Vertreters der ›Black Aesthetic‹ nur insofern auf die Bühne gestellt, als es eine jener Quellen politischer und ästhetischer Vorstellungen und Theorien ist, denen der Künstler im komplexen Nebeneinander der unterschiedlich konnotierten alltäglichen Gegenstände, Materialien und Medien Ausdruck verleiht.

Kuratorin: Stephanie Damianitsch

  • Leopold Museum
    MuseumsQuartier, Museumsplatz 1, 1070 Wien
  • Öffnungszeiten: täglich außer Dienstag: 10–18 Uhr, Donnerstag: 10–21 Uhr, Dienstag geschlossen
  • www.leopoldmuseum.org