Dem in Trinidad, London und New York lebenden und arbeitenden britischen Maler Peter Doig widmet die Fondation Beyeler eine Ausstellung, die seine bedeutendsten Gemälde präsentiert. Doig, 1959 in Edinburgh geboren, wuchs in Trinidad und Kanada auf. Er ist ausserdem Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf.
Der vielseitige Künstler beherrscht unterschiedliche Techniken und geht besonders in seiner Druckgrafik experimentell zu Werke. Seine meist großformatigen Gemälde bestechen durch ihre atmosphärische Dichte, intensive Farbigkeit und Leuchtkraft. Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler vermag es im selben Masse wie Peter Doig, eine Brücke von der Moderne zur zeitgenössischen Kunst zu schlagen und darüber hinaus in die Zukunft zu weisen.
Doig besitzt eine besondere Sensibilität für die Befindlichkeiten unserer Welt, denen er in seiner Kunst Ausdruck verleiht. Dabei scheint die Zeit in seinen Bildern oft in einem anderen Tempo als im wirklichen Leben zu vergehen, langsamer zu fließen, ja stillzustehen, ähnlich wie wir es aus Träumen, Halluzinationen, Meditation und filmischen Special Effects kennen. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Farbe selbst in verschiedenen Flüssigkeitszuständen erscheint. Auch das, was sich auf Doigs Bildern abspielt, ist nicht einfach zeitlich zu bestimmen. Der Gegenwartsbezug verschwimmt angesichts der Selbstverlorenheit der Personen, der Reflexionen im Wasser und der Zeitlosigkeit der Natur.
Meist gehen Peter Doigs Bildideen auf Bruchstücke unserer Gegenwart wie Familienfotos, Zeitungsausschnitte und Filmstills zurück. Sie geben den Anstoß zu Gemälden, die aus verschiedenen Elementen so geschickt collagiert sind, dass dadurch eine nicht mehr aufzuschlüsselnde, spannungsvolle Gesamtkomposition entsteht. Seine oft großformatigen Gemälde wirken vertraut und geheimnisvoll zugleich und bleiben doch ungewiss, wie verdichtete Traum- oder Filmsequenzen.
Die Werke Peter Doigs sind fantastische Expeditionen in eine wunderbare Welt. In ihr blüht die Natur in prächtigen Farben, und seltsame Geschöpfe – Menschen, Karnevalsfiguren und Fabelwesen – bevölkern sie. Trotz der verführerischen Schönheit und der träumerischen Melancholie geht es hier nicht um den Entwurf eines Paradieses. Überall verbergen sich auch Schatten und Abgründe wie Einsamkeit, Unheimliches, Gefahr, Angst und Verlorenheit, welche die Individuen in ihrer vermeintlichen Idylle bedrohen. Realität und Absurdität sind in dieser Kunst eng verbunden, und manchmal schwingt unterschwellig ein Hauch von typisch britischer Ironie mit. Peter Doigs so mysteriöse wie meisterhafte Malerei macht ihn zu einem der interessantesten Künstler unserer Zeit.
Doig ist sich der grossen kunsthistorischen Tradition bewusst in der er steht; dabei bezieht er sich auf Maler wie Gustave Courbet, Edvard Munch, Pierre Bonnard, Francis Bacon und insbesondere Paul Gauguin, mit dem er nicht nur die Darstellung tropischer Landschaften teilt. Seine Kenntnisse um dieses malerische Erbe zeigen sich etwa in Fragen der Bildkomposition, der Farbwahl oder der Maltechniken. Dennoch ist Doig fest in der Gegenwart verankert.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler präsentiert ausgewählte Werke des Künstlers, die zwischen 1989 und 2014 entstanden sind. Dieser Überblick über Peter Doigs Schaffen ist nicht chronologisch, sondern nach Schwerpunkten geordnet, wobei seine Behandlung der Farbe als ästhetisches Mittel und als Material im Vordergrund steht.
Den Auftakt machen seine ikonischen Sehnsuchtsbilder von exotischen Welten: Die Kanu-Gemälde sind dafür exemplarisch. Dass Malerei das Arbeiten mit der Fläche des Bilduntergrunds bedeutet, zeigen uns seine Bilder, die Wandmalerei wiedergeben und geometrisch-tektonisch aufgebaut sind. Die Werke, bei denen die Behandlung der Farbe Weiß dominiert, sind nicht nur als Winterbilder zu sehen. Sie sind auch Versuche, sich mit der eigenen Existenz auseinanderzusetzen, »zu verstehen, was es bedeutet, in der eigenen Vorstellungswelt zu leben«, wie Doig es im Hinblick auf das zentrale Werk Blotter (1993) formulierte. Das Weiß, das sich wie ein Vorhang über einen nur teilweise sichtbaren Hintergrund legt, wirkt wie ein Raster, das den Betrachter anhält, sich im Bild zurechtzufinden.
Sehr bekannt und vielleicht einer der besten gemalten Rückblicke auf die Moderne sind die Bilder der Concrete Cabin-Serie aus der ersten Hälfte der 1990er-Jahre: Der Betrachter scheint durch einen Wald, also eine natürliche Struktur, auf die technische Struktur der architektonischen Moderne zu blicken, nämlich auf Le Corbusiers Unité d’Habitation im lothringischen Briey. Monumental wirkende, aus Schichten verdünnter Farbe bestehende Darstellungen von geisterhaft wirkenden Erscheinungen (Man Dressed as Bat, 2007) stehen Arbeiten neueren Datums gegenüber, bei denen die Farbintensität noch gesteigert ist (Spearfishing, 2013).
Außerdem wird zum ersten Mal Doigs experimentelle Druckgrafik in einer Ausstellung präsentiert, der in seinem Arbeitsprozess eine wichtige Funktion zukommt. Oftmals entsteht sie nämlich vor den eigentlichen Gemälden. Doig testet mit den Grafiken die unterschiedlichen Stimmungen, die er in seinen Grossformaten vermitteln will. Das vollendete Bild ist dann beinahe so etwas wie der finale Zustand eines Drucks.
Doig ist ein grenzenlos neugieriger Mensch, er koordiniert seine Erinnerungen an eigene Beobachtungen mit einem gewaltigen fotografischen Archiv, das sowohl Alltagsszenen als auch ästhetische Neuheiten umfasst. Tägliche Beobachtungen, ein Bildarchiv und die praktische Erfahrung im Atelier: Diese drei Erkundungslinien laufen in Doigs Kunst zusammen. Seine Neugier regt ihn zu seltsamen visuellen Experimenten an; er überzieht zum Beispiel leuchtende chromatische Farben mit dunklen, schwärzlichen Lasuren (Concrete Cabin, 1991/92) oder trägt dünne weiße Schichten auf, die die generelle Atmosphäre des Gemäldes paradoxerweise dämpfen (Ski Jacket, 1994).
Doig ist ein ungemein konzentrierter und oft ironischer Beobachter: Als der Schöpfer seiner visuellen Erfindungen liegt seine Position in ihrem Zentrum. Gleichzeitig jedoch agiert er als ein unbeteiligter Zuschauer am Rande, der offen ist für die Überraschungseffekte, welche die durch Lösungsmittel verdünnte oder zu einer Deckpaste verdickte Farbe bereithält. Er folgt dem sich ändernden Fokus und lenkt ihn zugleich; dem »Charakter« einer Figur schenkt er genauso viel Aufmerksamkeit wie den dekorativen Wandmustern und den vegetabilen und atmosphärischen Lichtschleiern, die seinen bildlichen Umgebungen unverwechselbare Eigenschaften verleihen. Doig hebt hervor, dass die Reaktion auf ein bestimmtes Gemälde je nach Person auf eine sinnliche, ja instinktive Weise variieren kann, denn das Betrachten eines Gemäldes ist ein komplexer Prozess, der sich nicht auf eine einzelne Aktion beschränkt: »Bei Gemälden – im Gegensatz zu Bildern, was immer ein Bild auch sein mag – sind, denke ich, das Schauen und Hindurch-Schauen (»looking-through«) und das Fokussieren [seitens des Betrachters] wirklich wichtig.« Der Maler betont, dass es ihm darum geht, »Die Bewegung des Auges darzustellen – und nicht ein Standbild zu malen. Das Auge sieht nie ein ›stehendes Bild‹«.
Ihres primären Aspekts – ihrer fundamentalen »Materialität« – wegen dehnt sich der Gefühlsbereich der Malerei über jedes Bild hinaus aus, selbst über die endlos verbreiteten technologisch ausgereiften Bilder unserer Zeit. Nach tausenden Jahren ihrer Geschichte bewahrt die Malerei eine ursprüngliche Verbindung zur ganzen Bandbreite der menschlichen Gefühlswelt, der menschlichen Intelligenz, der menschlichen Entwicklung.
Wir, die Betrachter, verlieren in seinen Werken den narrativen Faden. Wir verlieren unseren Ort in der Kultur, unsere Welt sekundärer, abgeleiteter Bedeutungen, auch wenn wir die Grundlagen der konzeptuellen Assoziation bewahren. Dieser Verlust ist ein Gewinn: Wir gewinnen den Zugang zur ursprünglichen Erfahrung, selbst wenn diese sich weiterhin unserer Erkenntnis entzieht.
Spezifisch für die Ausstellung realisiert Peter Doig für den Renzo Piano-Saal der Fondation Beyeler mithilfe seiner Studenten eine monumentale Wandmalerei. Sie basiert auf dem Gemälde House of Pictures (Carrera) von 2004, ein Werk, das vom Sehen handelt und imaginierte Blicke auf eine imaginierte Welt eröffnet, mit der Silhouette der vor Trinidad gelegenen Gefängnisinsel Carrera im Hintergrund.