Peter Buggenhout. Kein Schatten im Paradies

Peter Buggenhouts Arbeiten lassen sich kaum in Worte fassen. Es sind rätselhafte Objekte undefinierbarer Beschaffenheit – immer wieder ähnliche und doch mutierende, amorphe Materialassemblagen, voluminöse, teils raumgreifende Akkumulate aus vielerlei Werkstoffen. Seine Skulpturen entstehen in der fortwährend sich verändernden Wiederholung, in langen Schaffensprozessen wachsen sie heran, der Faktor der Zeit ist ein wichtiger Aspekt ihrer Entstehung. Sie verwehren sich der narrativen Darstellung wie auch jeglicher symbolischen Referenz. Allein ihre Titel geben Hinweise für mögliche Interpretationen.

Objekte der Werkreihe The Blind Leading the Blind (TBL; Blinde, von Blinden geführt) tauchen als aus den Tiefen geborgene Wracks auf – gigantische Körper, die mit dicken Schichten dunklen Staubs überzogen sind. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu stammen, in ihrer Zeit gefangen, im Verfall konserviert zu sein. Dieser Eindruck materialisiert sich durch den Staub, der als Inkarnation von Zeit fungiert. Die Konsistenz der Oberfläche verschluckt das Licht. Ansammlungen von alluvialen Materialien bilden isolierte Körper. In der biblischen Parabel des Blindensturzes erwartet die Stolpernden eine schlammige Grube, die als ästhetische Metapher, zumindest in ihrer Farbgebung des tiefen, monochromen Graubrauns hier zum Vorschein kommt.

Mit Gorgo (seit 2005) betitelte Arbeiten formieren eine Serie von kleinformatigeren Plastiken, deren charakterisierende Substanz aus in Schweineblut und Teer getränktem Rosshaar besteht. Ihr Titel knüpft an die griechische Mythologie an. Gorgonen sind der Sage nach unsterbliche, grausame Gestalten, mit Schlangenhaupt oder Flügeln ausgestattet, deren prominenteste Vertreterin Medusa ist. Wurde ihre Schrecklichkeit von Normalsterblichen erblickt, erstarrten diese zu Stein. Den Betrachter erwartet im Anblick eines Gorgo von Peter Buggenhout eine Materialassemblage aus vielerlei dunkel gehaltener Reststoffe. Sie wirken unserer Welt entrückt, wie Fabelwesen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres eigenen Verwesungsprozesses erstarrt sind.

Mont Ventoux heißen Skulpturen, die fast landschaftliche Züge aufweisen. Berühmtester Besteiger des titelgebenden Bergmassivs war wohl der Lyriker und Philosoph Petrarca im 14. Jahrhundert. In seinen romantischen Liebesgedichten widmete er sich nicht mehr nur der rein göttlichen Preisung, sondern den selbstreferentiellen Erfahrungen in der Naturwahrnehmung. Die künstlerischen Werke Buggenhouts sind ähnlich kontemplativ erfahrbar: Der Betrachter kann die ausladenden Formationen immer und immer wieder umwandern. Sein Auge schweift über die schwer erfassbare Oberfläche von gegerbten, umgestülpten und ausgestopften Kuhmägen, die in sich schon visuelle Landschaften sind.

Der »Rohbau« der Körper besteht oftmals aus Metall, Holz und Plastik, der mit Epoxydharz, Polyester, PU-Schaum und Gips verschmolzen ist. Es werden vor allem Fundstücke und gebrauchte Reststoffe verwendet. Abzulesen darin sind die vom Menschen produzierten und von diesem wieder abgestoßenen Dinge, Überreste der Menschheit, Ablagerungen der Gesellschaft. Diese mit »grauer Energie« getankten Materialien werden vom Künstler weiterverarbeitet.

Der nicht existierende Schatten im Paradies (im Titel der Ausstellung) spielt lose auf Platons Höhlengleichnis an, in dem die Schatten – durch eine unsichtbare Lichtquelle an den Wänden der Höhle wahrnehmbar – eine Metapher für die nicht unmittelbar erkennbare Realität darstellen.

Peter Buggenhouts Arbeiten scheinen in diesem Zustand zwischen Wirklichkeit und Imagination verhaftet zu sein. Die Werke scheinen wie zeitlose Artefakte, wie Relikte im Stillstand der Zeit – als Akkumulationen menschlicher Spuren aus der Vergangenheit oder weltliche Szenarien aus der fernen Zukunft betrachtet. Ihre massive physische Präsenz gebärdet sich im »Zeitalter der Entmaterialisierung« tröstlich anachronistisch. Peter Buggenhouts Arbeiten sind mystische und vor allem analoge Kommentare zu einer sich in der Globalisierung nivellierenden, digitalen Welt. Sie besitzen hermetischen Charakter, große Autonomie und erscheinen als Momente kontemplativer, kultischer Natur in ihrer Deklination zwischen Erschaffung, Transformation, Chaos und Ordnung. Allesamt sind sie dem Kreislauf der Dinge entsprungene Zeugnisse.

Das Neue Museum Nürnberg richtet in Deutschland die erste monografische Soloshow des international vielfach gezeigten, belgischen Künstlers Peter Buggenhout (geb. 1963, lebt und arbeitet in Gent, BE) aus. Der Künstler realisiert eine eigens für den Ausstellungsraum konzipierte großformatige Installation. Zusätzliche skulpturale Eingriffe im Foyer, im Treppenhaus und in den oberen Sammlungsräumen sind Teil des Projekts – sie ziehen sich somit durch das gesamte Gebäude und bilden einen vielfältigen Parcours. Buggenhouts künstlerisches Werk umfasst neben den oben beschriebenen Serien eine Vielzahl an begehbaren In-situ-Installationen.

  • Neues Museum
    Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg
    Luitpoldstraße 5, 90402 Nürnberg
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10–18 Uhr, Donnerstag: 10-20 Uhr
  • http://www.nmn.de