Objects of Knowledge, of Art and
of Friendship.
A Small Technical Encyclopedia
for Siegfried Zielinski
Edited by
David Link & Nils Röller
»Never simply
say ›Hello‹«
Von Andreas Rauth
Es ist zumindest nicht ganz leicht ein Buch zu rezensieren, welches nicht nur ein Buch, sondern außerdem noch ein Geschenk ist. Vielleicht sollte man es auch ganz lassen. Geschenke sind eine Sache zwischen dem oder der Schenkenden und dem oder der Beschenkten. Dass eine/r einer/m anderen etwas schenkt, geschieht unter der Voraussetzung einer gewissen Intimität, von Wissen, Verständnis und Interesse von- und füreinander. Weil dabei auch leicht etwas schief gehen kann, hat die moderne Geschenkeindustrie darauf mit ökonomischen Strategien reagiert, die jeder kennt und die hier nicht weiter diskutiert werden sollen. Je weniger das Verständnis füreinander, je kleiner die geteilte Welt, desto wahrscheinlicher verfehlt das Geschenk seine Bestimmung. Unter Blutsverwandten, so meine Vermutung, geschieht dies wohl häufiger als unter Wahlverwandten.
Weshalb ich doch über dieses Buch schreibe, liegt daran, dass hier erstens nicht nur eine/r schenkt, sondern viele – zweiundachtzig nämlich –, aus dem oder der Schenkenden also eine SchenkerInnengemeinschaft geworden ist, welche sich die Freude des Schenkens (und die Last der Verantwortung) teilt; zweitens wurde auch der Empfängerkreis bewusst erweitert, der Schenkungsakt per Druckauflage vervielfältigt und aus dem Privaten herausgelöst, weshalb das Geschenk ja auch auf des Rezensenten Tisch gelandet ist. Somit handelt es sich um eine öffentliche Gabe, der Beschenkte ist – nun ja – das Medium, durch welches hindurch diese Gabe in die Welt gelangt. Weil das Öffentliche das Private jedoch nicht tilgt, gerät das Geschenk in eine widerständige Dazwischenexistenz öffentlicher Privatheit. Man spürt beim Lesen, wie es von der privaten auf die öffentliche Seite kippt und zurück. Der eine mag sich hier wohler fühlen, der andere dort, aber man eignet sich das Buch nie so ganz an, ein Stück weit bleibt es eben immer das Geschenk des Beschenkten. Das ist in diesem Fall der Medientheoretiker Siegfried Zielinski, dessen 60. Geburtstag den speziellen Anlass für die Publikation gab. Zielinski ist Professor für Medientheorie und Leiter des Vilém-Flusser-Archivs an der Universität der Künste Berlin (UdK), außerdem war er Gründungsrektor der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM). Im Zentrum seiner Arbeit steht die Archäologie & Variantologie der Medien. Letzteres ist auch der Titel einer fünfbändigen Reihe, die er in Zusammenarbeit mit einem internationalen Forschernetzwerk herausgegeben hat. Der abschließende Band Variantology 5: Neapolitan Affairs erschien im September 2011.
Bei einem in Auflage produzierten Geschenk kann man unterstellen, dies geschehe aufgrund der Annahme, es könne auch für andere als den Beschenkten interessant sein, weil das, was drinsteht entweder sehr allgemein oder sehr besonders ist, oder weil andere zu erfahren wünschen, womit dieser eine so von seinen Freunden bedacht wird. Letzteres ist Angelegenheit der Yellow Press und daher hier nicht weiter Thema. Der Inhalt des Buches gehört zweifelsfrei zur Kategorie des Besonderen, sei es, weil die Beiträge eben doch sehr persönlich geraten sind, oder weil man um was man hier zu lesen bekommt auf anderem Wege zu erfahren, erheblichen Aufwand betreiben müsste. Spezialistentum allein reicht indes nicht aus, ein Gespür für das, was in der offziellen Sicht der Dinge üblicherweise durch die Maschen fällt, ist ebenso gefordert. Freundschaft gibt sich auch an dieser Qualität zu erkennen: aus dem schwer Zugänglichen dringt der vertraute Klang; vertraut allerdings ist nicht der Klang selbst, welcher stets besonders ist, sondern die darin hörbare Ferne. Denn ein gutes Geschenk ist nicht eines, das den Beschenkten in Art eines Spiegels verdoppelt – von einem guten Geschenk verlangen wir einen Mehrwert. Das ist die Überraschung, und die ist umso wahrscheinlicher wie die Idee originell ist. Es ist nicht übertrieben, das Schenken als eine Kunst bezeichnen.
Den Hintergrund für die Geschenkidee lieferte die 1603 in Rom gegründete Akademie der Luchsäugigen, die erste europäische Akademie der Wissenschaften, zu deren Mitgliedern Giovan Battista della Porta, Galileo Galilei und Francesco Stelluti gehörten. Unter dem Zeichen des als besonders scharfsichtig bekannten Raubtieres versammelten sich junge Männer, um ihr Wissen über die Geheimnisse der Welt auszutauschen. Unverzichtbar für einen »professor of natural Magick« waren umfassende Kenntnisse der Mathematik, Astrologie und »the Magick of Optics, … on which a large part of natural Magick depends.« Von jedem neuen Mitglied wurde erwartet, »to bring a startling, novel object with him that revealed the inner nature of things—a spectacle of truth that led to talks, investigations and relationships among the institution’s members.« Für dieses Buch bestimmten die Initiatoren und Herausgeber, der Künstler David Link und der Medienwissenschaftler Nils Röller die Motivation dahingehend, dass ein Gegenstand von besonderer persönlicher Bedeutung beigebracht werden sollte.
Überreicht wurden einfache Dinge wie eine kleine Schachtel, ein Korb, der als universales Transportmittel bis heute unentbehrlich ist, oder eine Badewanne, welche als Ort der Entspannung nach Meinung des Autors aus der Mode gekommen ist. Apples erster PDA namens »Newton«, dem nur eine kurze Lebensdauer beschieden war, wie sich mancher wohl erinnert, ist ebenso dabei wie eine Bullenpeitsche oder das erste Berliner Telefonbuch von 1881, welches von der Bevölkerung als »Buch der Narren« belächelt wurde. Der aus der Unsichtbarkeit der Gesprächsteilnehmer resultierenden Unsicherheit begegnete man übrigens mit der noch heute gültigen Empfehlung für die fernmündliche Begrüßungsformel: »Never simply say ›Hello‹«. Ferner wurden diverse optische Geräte überreicht: Ein Epidiaskope, ein Filmoskop, ein Phenakisdiskop, ein Kodak Diakarussel. Zudem kurios anmutende und längst vergessene Erfindungen wie das Neuramoebimeter, mit dessen Hilfe sich menschliche Reaktionszeiten aufzeichnen lassen. Sodann ein Quadratmillimeter Haut – dem die Utopie einer geräteunabhängigen Kommunikation entspringt – ein Pantograph zum maßstabgetreuen Vergrößern oder Verkleinern von Zeichnungen, ein Geigerzähler, eine Fender Telecaster, eine Steckdose und ein »White Museum«, bei dem ein Gebäude in einen Projektor verwandelt wird, und vieles mehr. Die komplette Liste der Dinge und Autoren ist in der Spalte rechts aufgeführt.
Jedes Objekt wurde von dem Zeichner und Musiker Peter Blegvad (Henry Cow, Slapp Happy; siehe Interview in Jitter#02) illustriert und dem jeweiligen Artikel vorangestellt. Die Texte sind, wie bei einer Enzyklopädie zu erwarten, alphabetisch angeordnet, was das Nachschlagen leicht macht, und entsprechend kurz, längstens vier Seiten, manchmal aber auch nur eine Zeichnung mit wenigen ergänzenden Zeilen. Anders als in herkömmlichen Enzyklopädien wechselt der Schreibstil von Text zu Text: lyrisch, erzählend, beschreibend. Unbedingt hervorzuheben ist die gute Gestaltung, das Material und die Verarbeitung der mit Unterstützung der KHM Köln, dem ZKM Karlsruhe, der European Graduate School Saas-Fee und dem Tesla medien > kunst > labor Berlin produzierten Publikation. Ein gutes Geschenk ist eben auch ein schönes Geschenk.
Fotos © Andreas Rauth
Mitgebracht haben:
Amir Alexander: Mathematical Atom / Marie-Luise Angerer: Sardine Can / Nicolas Anatol Baginsky: CPU Extractor / Rosa Barba: The White Museum / Irit Batsry: Video Still / Hans Belting: Small Glass And the Even Smaller Magnifying Glass / Fernando Birri: The Sun Stone / Peter Blegvad: Bull Roarer / Arianna Borrelli: Playing Cards / Andreas Broeckmann: Writing Pen / Caspar Brötzmann: Hand / Anke Brunn: Punch Card / Alberto de Campo: Fourses / CHEN (Joseph) Cheng-Yih: Astronomical Clock of Su Song / Gerd Conradt: The Portapak / Timothy Druckrey: Shutter / Thomas Elsaesser: The Kodak Carousel / Heinz Emigholz: Original Sleep Sound Generator / Hinderk Emrich: Negative Mask / Valie Export: Object Detector / Tom Fecht: Camera Obscura / Eckhard Fürlus: Un Vulcano Esplosivo / FM Einheit: Book Destruction Machine / Gunther Geltinger: Little Box / Claudia Gianetti: Azevedo Typewriter / Heiner Goebbels: Stifter’s Weathermachine / Baruch Gottlieb: Large Hydron Collider / Keith Griffiths: Ship in a Bottle / Ingo Günther: Side Scan Sonar / Yasmin Haskell: Cymbalum Electricum / Andreas Henrich: Pantograph / Friedrich Kittler: THE TETRAKTYS / Jürgen Klauke: Along the Cioran Lines / Saskia von Klitzing: Klitzingian Barbecue Grill Apparatus / Friedrich Knilli: Embodied Radio Plays / Knowbotic Research: MacGhillie Suit / Burkhard König: The Wheel / David Link: Odradek / Christin Lahr: Tally Stick / David Larcher: Digital Video Tape Recorder / Walter Lenertz: Film Camera / Thomas C. Maurer: Newton 2.0 / Marcello Mercado: Re-enactment of Experiences on Artificial Life by John Wesley Hyatt (1869) / Mara Mills: 500-Type Colour Desk Set Telephone / Alla Mitrofanova: Space Rocket / Anthony Moore: The Tele-Caster / Werner Nekes: Phenakistoscope / Miklós Peternák: Polaroid Photo / Wolfgang Pircher: Slide Rule / Stephen and Timothy Quay: MAQUETTE FOR THE SEPULCHRE OF A DEAD RETINA / Dhruv Raina: Jantar Mantar Telescope / Hans Ulrich Reck: Epidiascope / Nils Röller: Shadow Staff / Avital Ronell: Yummy / Otto Rössler: Light of Benevolence / Florian Rötzer: Bathtub / Margit Rosen: Wall Socket / Zbigniew Rybczynski: SExC / Elisabeth von Samsonow: Media Theory/Girl Technologies / Michael Saup: Geiger Counter / Henning Schmidgen: Neuramœbimeter / Wilhelm Schmidt-Biggemann: Athanasius Kircher’s Obelisk Dedicated to the Emperor Ferdinand III / Clemens Schwender: Directory of Subscribers to the Telephone System / Yukiko Shikata: Object B / Andrey Smirnov: Virtual Prosthesis for the Totally Blind / Thomas Steinmaurer: Tubus Oticus Cochleatus / Stahl Stenslie: One Square Millimetre of Skin / Bruce Sterling: Virtuality Jewelcase / Klaus Theweleit: ELVIS, ANDY / Michael Thompson: Rubbish Theory Diagram / Amador Vega: Basket / Lioudmila Voropai: Filmoscope/Diafilm / Clea T. Waite: Line / Peter Weibel: Typewriter / Herwig Weiser: Lucid Phantom M / Jan St. Werner: Schübel the Generator / John Wyver: EMI Emitron Camera
David Link & Nils Röller (Hg.):
Objects of Knowledge, of Art and of Friendship.
A Small Technical Encyclopedia For Siegfried Zielinski
Institut für Buchkunst Leipzig 2011.
Mit Illustrationen von Peter Blegvad
Sprache: englisch
192 Seiten, 140 x 210 mm, 1-fbg. Englische Broschur mit Klappen; Fadenheftung
25,00 Euro
www.institutbuchkunst.hgb-leipzig.de
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