Nautilus. Schnecken, Muscheln und andere Mollusken in der Fotografie

Kuratiert von Stefanie Odenthal M.A. und Dr. Christiane Stahl
Eröffnungsrede: Dr. Christiane Stahl

Neben Pflanzen und Kristallen gehören Gehäuse von Schnecken, Muscheln und anderen Mollusken (Conchylien) zu jenen ›Bauformen der Natur‹, die die Fotografen der Moderne besonders fasziniert haben. Die Alfred Ehrhardt Stiftung widmet diesem fotografischen Bildthema eine eigene Ausstellung mit begleitendem Katalogbuch. Den Ausgangspunkt dafür bilden die im Nachlass des Fotografen erhaltenen Aufnahmen, die Alfred Ehrhardt in seinen Fotobüchern ›Muscheln und Schnecken‹ (1941) und ›Geprägte Form‹ (1968) veröffentlicht hat.

Das Interesse der Menschheit an Muschelschalen und Schneckengehäusen geht bis in frühkulturelle Zeiten zurück und hat in der Kulturgeschichte viele Spuren hinterlassen, nicht zuletzt in der Bildenden Kunst. Conchylien waren für Künstler und Fotografen nicht nur aufgrund ihres faszinierenden Formenreichtums, ihrer Schönheit, ihrer skulpturalen Qualität sowie der Magie ihres mathematisch exakten Spiralwachstums ein beliebtes Motiv. Mehr als durch jedes andere künstlerische Medium wurde die Conchylie durch die Fotografie als kosmisches, religiöses, mythologisches oder sexuelles Symbol zum Bedeutungsträger einer Welt jenseits des Materialen von überzeitlicher Gültigkeit.

Mit der Erfindung der Fotografie ergab sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Möglichkeit der wissenschaftlichen Dokumentation, für die gerade auch Muscheln und Schnecken als Motive dienten. Eine besondere Stellung nahm dabei die Röntgenfotografie ein, die Einblicke in die innere Struktur der Schalentiere eröffnete. In den zwanziger Jahren wurden Conchylien zum Bildthema einer nun künstlerisch autonomen Fotografie. Naturphilosophische und neusachliche Aspekte spielten dabei ebenso eine Rolle wie die vermeintliche Vorbildfunktion dieser ›Bauformen der Natur‹ für Architektur und Design.

Am Beginn steht ein 1923 erschienenes, damals viel beachtetes Themenheft der holländischen Avantgarde-Zeitschrift ›Wendingen‹ (1923) mit Muschel- und Schneckenfotografien von Bernard F. Eilers und J. B. Polak. In den USA schuf Edward Weston mit seinen Muschelaufnahmen wenig später Ikonen der Fotomoderne, die 1929 auch auf der einflussreichen Ausstellung ›Film und Foto‹ in Stuttgart zu sehen waren. Seine Aufnahme ›Nautilus Shell‹ (1927) zählt heute zu den teuersten Fotos überhaupt. Unter den amerikanischen Fotografen haben sich u.a. auch Edward Steichen und Imogen Cunningham kreativ mit Muscheln und Schnecken beschäftigt.

Im deutschsprachigen Raum sind verschiedene Vertreter der sachlichen Fotografie durch Aufnahmen von Muscheln und Schnecken hervorgetreten − von Fred Koch über Aenne Mosbacher, Fritz Kühn bis Gerhard Kerff. Eine Besonderheit bilden dabei die erst kürzlich wiederentdeckten Röntgenfotos des Hamburger Architekten und Fotografen Fritz Block. Einen Höhepunkt schließlich stellen die Aufnahmen dar, die Alfred Ehrhardt für sein Buch ›Muscheln und Schnecken‹ (1941) angefertigt hat.

Eine gänzlich andere Sicht auf diese Naturobjekte vermitteln hingegen Beispiele in surrealistischem Kontext mit Aufnahmen von Herbert Bayer, Man Ray oder Herbert List. Die Ausstellung schließt mit einem Ausblick auf fotografische Positionen, die sich nach 1945 auf unterschiedliche Weise mit dem Bildthema ›Muscheln und Schnecken‹ auseinandergesetzt haben – von Josef Sudek über Andreas Feininger zu Wols oder Otto Steinert. Zusätzlich wird Alfred Ehrhardts preisgekrönter Film ›Tanz der Muscheln‹ (1956) gezeigt.

Neben Originalfotografien werden auch reale Conchylien aus der Sammlung von Alfred Ehrhardt gezeigt, ergänzt um Leihgaben des Museums für Naturkunde Berlin. Durch das Thema und seine Darstellungsweise soll zugleich dem gewachsenen Interesse von Publikum und Forschung am wissenschaftlichen Bild, also der fruchtbaren Wechselbeziehung zwischen Naturkunde und Fotografie Rechnung getragen werden.

Die Ausstellung wurde vom 20. Mai bis 27. August 2017 im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg präsentiert und vom 8. Oktober bis 31. Dezember in der Kunsthalle Erfurt, bevor sie in die Alfred Ehrhardt Stiftung wandert. In Oldenburg und Erfurt wurde sie maßgeblich um zeitgenössische Positionen erweitert, mit Arbeiten von David LaChapelle, Pierre et Gilles, Natascha Borowsky, Hans Hansen, Christian Diehl und anderen.

128-seitiger Katalog mit 50 Farb-+ 78 SW-Abbildungen und drei Textbeiträgen, Hardcover, Michael Imhof Verlag, € 19,95

Begleitende Veranstaltungen:

18. Januar 2018 und 22. März 2018, 18.00 Uhr:
Ausstellungsführung durch die Kuratorinnen Stefanie Odenthal M.A. und Dr. Christiane Stahl

07. März 2018, 19.00 Uhr:
Prof. Dr. Werner Schnell, Lichtbildervortrag ›Wie Alfred Ehrhardt um 1940 mit seinen Fotografien mittelalterliche Skulpturen in die Gegenwart holte‹

11. April 2018, 19.00 Uhr:
Prof. Dr. Hans-Jörg Rheinberger, Lichtbildervortrag ›Spiraltendenzen in Kultur und Natur‹

Der Eintritt ist frei. Wir bitten für die Veranstaltungen jeweils um Voranmeldung per e-Mail.

  • ALFRED EHRHARDT STIFTUNG | Auguststr. 75 | 10117 Berlin
  • Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr | info@alfred-ehrhardt-stiftung.de |
  • www.alfred-ehrhardtstiftung.de