Michael Najjar zählt zu jener Avantgarde von Künstlern, die die technologischen Entwicklungen, die das frühe 21. Jahrhundert so einschneidend verändern, mit einem differenzierten und kritischen Blick betrachten. Seine Foto- und Videoarbeiten schöpfen aus seinem interdisziplinären Kunstverständnis: Er verbindet Wissenschaft, Kunst und Technologie zu Utopien zukünftiger Gesellschaftsstrukturen, wie sie von den hochmodernen Technologien hervorgebracht werden.
Im Mittelpunkt der Ausstellung Planetary Echoes steht die Vorstellung einer zukünftigen Besiedlung des Weltraums durch den Menschen. Michael Najjars fotografische und filmische Kompositionen verweisen auf formale sowie thematische Ähnlichkeiten zwischen unserem eigenen Heimatplaneten und anderen Monden und Planeten innerhalb des Sonnensystems. Seine großformatigen Fotografien zeigen natürliche extraterrestrische Lebenswelten, die erhaben und zugleich seltsam vertraut anmuten, bei denen es sich in Wirklichkeit jedoch um synthetische Konstruktionen einer nicht allzu fernen zukünftigen Realität handelt. Die ergreifende Schönheit seiner interplanetaren Landschaften ergibt sich aus der Hyperrealität eines imaginären Naturraums, der jenseits des (bislang) Erreichbaren lokalisiert ist.
Najjars formaler Vergleich der terrestrischen Natur mit extraterrestrischen Umgebungen steht im Einklang mit dem Ausstellungsprogramm der Alfred Ehrhardt Stiftung: Die von Ehrhardt und seinen Zeitgenossen postulierten kosmischen Gesetzmäßigkeiten, die mit lebensphilosophischem Impetus begründete Kongruenz zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, finden in Najjars Kompositionen ihren visionären Widerhall. In seiner Aufnahme interplanetary landscape vermischt sich die aus großer Höhe betrachtete Oberflächenstruktur der Erde mit der des Planeten Mars. Bei den waves of mars könnte es sich ebenso gut um die Sanddünen der Kurischen Nehrung handeln, wie Ehrhardt sie fotografiert hatte. In der Arbeit europa verschmelzen schließlich Gletscher der Erde mit Gletscherregionen des Jupitermondes Europa zu einer formalen Einheit.
»Wir müssen unseren existenziellen Bezugsrahmen, der bisher nur unseren Heimatplaneten einschließt, in Zukunft erweitern. Auch die Erdumlaufbahnen, Monde, andere Planeten und der Weltraum im Allgemeinen müssen mit einbezogen werden«, argumentiert der Künstler. Die Menschheit sieht sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert, die den Lebensraum auf der Erde bedrohen. Diese reichen von Überbevölkerung, Klimawandel und sich verringernden Ressourcen bis hin zu Verknappungen bei der Versorgung mit Energie, Nahrungsmitteln und Wasser. Najjar verfolgt in seiner Arbeit die Idee, dass die Kolonisierung unseres Sonnensystems möglicherweise die einzige Chance bietet, das Überleben unserer Spezies zu gewährleisten.
Bevor die Menschheit in der Lage sein wird, das Leben von der Erde ins All zu verpflanzen und dort aufrechtzuerhalten, ist eine Reihe technischer Innovationen erforderlich. Um den Blauen Planeten verlassen zu können, muss eine Unzahl von entscheidenden Herausforderungen bewältigt werden wie Versorgungs-kettenmanagement, Logistik, Kommunikation und Nachhaltigkeit, um nur einige zu nennen. Künftige Astronauten werden auf entfernten Planeten und Monden nicht nur ihre eigene Nahrung anbauen und ihr Wasser filtern, sondern auch Energie erzeugen und Infrastrukturen aufbauen müssen, wobei ihnen lediglich die jeweiligen lokalen Materialien zur Verfügung stehen. Innovationen im Bereich der Raumfahrt könnten – als eine Art Nebenprodukt – nachhaltige Technologien entwickeln, die dazu beitragen, die Zukunft unserer Erde zu sichern.
»Je weiter wir uns in den Weltraum hinauswagen werden«, so der Künstler, »umso mehr wird unser intellektuelles und wissenschaftliches Wissen um unseren Platz im Universum ergänzt werden durch die direkte Erfahrung, die unsere Identität und unser Verständnis dessen, wer wir sind und wo wir herkommen, verändern wird. Durch die Expansion der Präsenz des Menschen im Sonnensystem werden wir die nächste Stufe der Evolution erreichen: den ‚Homo spaciens‘: Eine neue Art des Menschen, die sich in hohem Maße an das Leben im All anpassen kann und besser dafür geeignet ist, diesen Raum zu erkunden und zu besiedeln, und der es möglich ist, von der Erde entfernt zu leben. Wir müssen zu der Einsicht gelangen, dass zwischen Erde und Weltraum kein Gegensatz besteht, da die Erde ja bereits Teil des Weltraums ist.«
Neben Arbeiten, die in den vergangenen fünf Jahren entstanden sind, wird Michael Najjar auch ganz neue Werke zeigen, darunter einen Film über das Konzept des »Terraforming«, der Anfang 2017 auf Island entsteht. Damit schlägt er zugleich eine Brücke zwischen seiner eigenen Arbeit und der von Ehrhardt, der 1938 eine zweimonatige Foto- und Filmexpedition auf Island unternommen hatte. Seine abenteuerliche Reise führte Ehrhardt zu unberührten, von Gletschern und Vulkanen geformten »Urlandschaften«, wo er »Einblicke in den Ursprung der Erde« zu gewinnen hoffte. Er näherte sich der Landschaft in seiner Arbeit mit einer typologischen Herangehensweise und mit einem avantgardistischen, abstrakten Bildvokabular. Michael Najjar filmte an vielen der Orte, die Ehrhardt vor fast einem Jahrhundert aufgesucht hatte. Ehrhardts Suche nach dem Ursprung der Erde führt Najjar um einen Schritt weiter zur wichtigsten Herausforderung des 21. Jahrhunderts überhaupt: die Zukunft der Erde zu sichern.
Eine begleitende Publikation, die sich ausführlicher mit der Idee der Erkundung und Besiedlung des Weltraums befasst, wird bei Spector Books erscheinen.
Begleitende Veranstaltungen:
05. Mai 2017: Planetary Echoes. Exploring the Implications of Human Settlement in Space, Panel discussion mit Nelly Ben Hayoun (Experience Designer), Xavier De Kestelier (Hassell Studio), Sir Tim Smit (Mitbegründer des Eden Project), Michael Najjar, Moderation: Lukas Feireiss
Weitere Veranstaltungen sind in Planung: Artist Talk | Atelierbesuch und Künstlerführung | Literaturhaus der Fotografie
- Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststr. 75, 10117 Berlin - Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr
- www.alfred-ehrhardt-stiftung.de