Masken gehören zu den Kultgegenstände mit der längsten, beziehungsreichsten und zugleich kontroversesten Geschichte. Im Spannungsfeld von Zeigen und Verbergen geniessen sie auch in der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft höchste Aktualität. Das Aargauer Kunsthaus zeigt in der internationalen Gruppenausstellung MASKE. In der Kunst der Gegenwart 160 neuere Arbeiten.
Bei Masken denken wir an Fasnacht, Karneval, an afrikanische Stammesriten oder Totenmasken, an Theater, Film und Mode – an Rollenspiel, Identitätswechsel, Verhüllung und Schutz. Masken haben als kultische Objekte eine lange, komplexe und auch kontroverse Geschichte. Ebenso in der bildenden Kunst hat die Maske eine lange Tradition. Doch wie wird das Thema in der zeitgenössischen Kunst behandelt? Die internationale Gruppenausstellung MASKE. In der Kunst der Gegenwart spürt dieser Frage nach.
Die Ausstellung MASKE zeigt, dass sich Gegenwartskünstler/innen nicht nur für die Maske als Objekt interessieren, sondern insbesondere für ihre sozialen, kulturellen und politischen sowie symbolischen Bedeutungen. Im Spannungsfeld von Zeigen und Verhüllen und in einer Gesellschaft, in der gekonnte Selbstdarstellung als Gradmesser des persönlichen Erfolgs gehandelt wird, geniesst die Maske heute wieder höchste Aktualität.
Masken – physische und symbolische – sind omnipräsent; in der realen genauso wie in der virtuellen Welt. Formen der Maskerade begegnen uns als Mittel, um gesellschaftlich normierte Geschlechter- und Rollenzuordnungen zu durchbrechen. Sie begegnen uns aber auch in den sozialen Medien, wo mit wenigen Mausklicks das ursprüngliche Bild in Sekundenschnelle verwandelt wird. Masken setzen wir auf, um in eine Rolle zu schlüpfen. Sie bieten die Möglichkeit zum Tausch des Selbst. In den Medien tragen Masken bisweilen traurigen Symbolcharakter für die turbulente Weltlage. Wir sehen vermummte Demonstrantinnen oder Occupy-Wallstreet-Aktivisten mit charakteristischen Guy-Fawkes-Masken; verhüllte Terroristen und Soldaten in Schutzmasken.
36 Künstler/innen aus zwölf Ländern nehmen sich in der Ausstellung MASKE dem brisanten Thema an und unterziehen sowohl den Begriff als auch das Objekt Maske einer Diagnose und Neubewertung im Licht unserer Zeit. Zu sehen sind rund 160 Werke unterschiedlichster Medien wie Fotografie, Malerei, Installation, Skulptur und Video. Sie sind mehrheitlich in den letzten zehn Jahren entstanden.
Die Kunstschaffenden interessiert weniger der psychologisierende Blick hinter die Maske, sondern der Blick auf die Maske: Sie thematisieren die Maske als Kunstobjekt und rituellen Gegenstand, als Mittel der (virtuellen) Selbstdarstellung, des politischen Ausdrucks oder als Instrument zum Spiel mit unterschiedlichen Identitäten.
Vielfalt der Maske
Der Zugang zum Thema ist breit. Kunstschaffende interpretieren etwa das Wesen der Maske neu. Laura Lima (*1971 Governador Valadares, BR) ist mit Masken vertreten, deren Schauseiten wie bei Nomads (2007/2008) anstelle von menschlichen Zügen gemalte Landschaften zeigen. Diese hängen in der Ausstellung an der Wand, könnten aber auch getragen werden. Setzt eine Person sie auf, stellt sich ein surreal anmutender Effekt ein, dem etwas Befreiendes innewohnt. Denn wir sehen nicht auf ein Gesicht, sondern in einen (Bild-)Raum, womöglich die Vision eines geistigen Raums.
Die Masken, die bildende Künstler/innen schaffen, sind indes häufig nicht zum Aufsetzen gedacht. Darauf weist schon die Wahl des Materials hin, wie etwa ungebrannter Ton bei Sabian Baumann (*1962 Zug, CH) oder ihre Dimensionen. So schafft Amanda Ross-Ho (*1975 Chicago, USA) riesige, aufgeblasene Interpretationen von kosmetischen Gesichtsmasken.
Ihre ursprüngliche Funktion erfüllt die Maske erst, wenn sie getragen wird und an die Stelle des menschlichen Gesichts tritt. Die verschiedenen Formen von Maskierungen beschäftigen eine ganze Reihe von Kunstschaffenden. Gillian Wearings (*1963 Birmingham, UK) und Douglas Gordons (*1966 Glasgow, UK) Arbeiten verbindet die Auseinandersetzung mit der (eigenen) Vergänglichkeit. Sie stellen die grossen philosophischen Fragen: «Wer bin ich?» und «Was macht mich zu der/dem, die/der ich geworden bin?». Beispielhaft zeigt sich in ihren Arbeiten auch die Schnittmenge zwischen Selbstbildnis und Maske. Gordon arbeitet mit einfachsten Mitteln und verwandelt sein Gesicht bei Monster (1996/1997) mit Klebebändern zu einer Monster-Maske, während Wearing etwa in der Arbeit Self Portrait as My Mother Jean Gregory (2003) in einem aufwendigen Verfahren Silikonmasken herstellt, hinter denen sie fast vollständig verschwindet.
John Stezaker (*1949 Worcester, UK) interessiert sich in seinen Collagen für die Mechanismen von Verschleiern und Verbergen. Werke wie Mask (Film Portrait Collage) CLXXIII (2014) stehen beispielhaft dafür: Er appliziert auf die makellosen Gesichter von Filmschauspieler/innen alte Postkarten von Landschaften als Augenmasken. Die Schauspieler/innen zeigen auf den professionellen Starfotos eine perfekte Fassade, eine unpersönliche Maske, die ironischerweise gerade durch die Maskierung in der Arbeit von Stezaker den Blick auf potenzielle psychische Abgründe freizugeben scheint.
Wahrheit und Geschichte
Maskierungen brechen mit der Gewohnheit, Gesichter als Schlüssel zum Wesen eines Menschen zu lesen. Das kann irritieren, bisweilen auch eine bedrohliche Wirkung entfalten, etwa in Sislej Xhafas (*1970 Peja, KO) Performance-Arbeit, die er mit Orchestern realisiert. Die aufgesetzten Sturmmasken anonymisieren die Musiker/innen und schaffen ein Gefühl der Verunsicherung, das im Kontrast steht zur Aufführung des gefühlsbetonten Stücks Adagio for Strings von Samuel Barber. Die Performance Again and Again (2000-2019) findet am Tag der Vernissage der Ausstellung MASKE in Zusammenarbeit mit Argovia Philharmonic in Aarau statt. Den Ort der Performance definiert der Künstler spezifisch in Reaktion auf den Kontext, den er vorfindet, und entwickelt damit die Arbeit in Aarau weiter.
Die Aktualität des Themas kommt vor allem in diesen Arbeiten zum Tragen, in denen Kunstschaffende die Maske als zentrales Motiv in der virtuellen Welt befragen. Die sozialen Medien bilden ein grosses Spiel- und Experimentierfeld für Maskierungen und das Jonglieren mit Identitäten. Susanne Weirich (*1962 Unna, DE) arrangiert in ihrer Multi-Media-Installation Global Charcoal Challenge (2018) die Selfie-Filme einer Onlinecommunity zum Tableau vivant. Olaf Breuning (*1970 Schaffhausen, CH) widmet sich in seiner als Tapete aufgezogenen, digital kompilierten Collage aus dem Jahr 2014 der knappsten Art eine Gefühlslage zu visualisieren: den Emojis.
Schliesslich nehmen die Künstler/innen Bezug auf die Kulturgeschichte der Maske. Christoph Hefti (*1967 Lausanne, CH) vollführt mit dem textilen Wandbild World Mask (2014) einen eklektizistischen Ritt sowohl durch diverse Kulturkreise, als auch durch Maskentypen, welche rituelle, spirituelle oder karnevaleske Funktionen haben. Simon Starlings (*1967 Epsom, UK) Referenzen weisen u. a. auf die japanischen N.-Masken. Im Video Project for a Masquerade (Hiroshima) (2010-2011) sehen wir einen Maskenschnitzer, der in seiner Werkstatt Masken herstellt, denen wir in Starlings Installation als originale Artefakte wieder begegnen. Basierend auf einem Theaterstück aus dem 16. Jahrhundert, das u. a. von falschen und doppelten Identitäten erzählt, entwickelt Starling eine Erzählung, die sich um Henry Moores Bronzeskulptur Nuclear Energy (1964–1966) dreht. Einen aktuellen und kritischen Blick auf den Umgang mit Maskentraditionen bieten auch die Collagen von Kader Attia (*1970 Dugny, FR). Er stellt in provokanter Manier historische Fotografien entstellter Gesichter von Soldaten anthropologischen Maskenobjekten gegenüber.
Die Ausstellung MASKE ist als assoziativer Rundgang angelegt – vielgestaltig wie das Thema selbst werden unterschiedlichste Zugänge vorgestellt. Die gezeigten Arbeiten belegen eindrücklich die Faszination, welche das Thema auf das aktuelle Kunstschaffen (und sein Publikum) ausübt, ebenso wie dessen Komplexität und Abgründe. Das Motiv der Maske ist offensichtlich ein reichhaltiger Nährboden. Es bietet den Künstler/innen vielfältigste Möglichkeiten die Gegenwart zu reflektieren.
Künstlerinnen und Künstler
Kader Attia (*1970, FR), Silvia Bächli (*1956, CH) & Eric Hattan (*1955, CH), Sabian Baumann (*1962, CH), Nathalie Bissig (*1981, CH), Olaf Breuning (*1970, CH), Edson Chagas (*1977, AO), Hélène Delprat (*1957, FR), Cecilia Edefalk (*1954, SE), Nicole Eisenman (*1965, FR), Theaster Gates (*1973, USA), Gauri Gill (*1970, IN), Douglas Gordon (*1966, UK), Aneta Grzeszykowska (*1974, PL), Christoph Hefti (*1967, CH), Judith Hopf (*1969, DE), Cameron Jamie (*1969, USA), Laura Lima (*1971, BR), Christian Marclay (*1955, CH), Mélodie Mousset (*1981, FR/CH), Mike Nelson (*1967, UK), Elodie Pong (*1966, USA/CH), Pope.L (*1955, USA), Ugo Rondinone (*1964, CH), Amanda Ross-Ho (*1975, USA), Markus Schinwald (*1973, AT), Cindy Sherman (*1954, USA), Francisco Sierra (*1977, CH), Simon Starling (*1967, UK), John Stezaker (*1949, UK), Rosemarie Trockel (*1952, DE), Paloma Varga Weisz (*1966, DE), Gillian Wearing (*1963, UK), Susanne Weirich (*1962, DE), Pedro Wirz (*1981, BR/CH), Sislej Xhafa (*1970, KO)
Kuratorinnen
Madeleine Schuppli, Direktorin Aargauer Kunsthaus, in Zusammenarbeit mit Yasmin Afschar, Kuratorin Aargauer Kunsthaus
Kuratorischer Assistent
Luca Rey, Wissenschaftlicher Praktikant Aargauer Kunsthaus
Publikation
Begleitend zur Ausstellung erscheint eine reich bebilderte Publikation (D/E) hrsg. von Madeleine Schuppli, Aargauer Kunsthaus, Aarau. Mit einführenden Essays von Madeleine Schuppli und Yasmin Afschar sowie Beiträgen zu den ausstellenden Kunstschaffenden von Yasmin Afschar, Dr. Daniel Berndt, Emily Butler, Hendrik Bündge, Wendy Chang, Michelle Cotton, Peter Fischer, Claire Hoffmann, Olivier Kaeser, Dr. Melitta Kliege, Susanna Koeberle, Elsy Lahner, Leo Lencsés, Bettina Mühlebach, Dr. Lena Nievers, Luca Rey, Hemant Sareen, Dr. Jörg Scheller, Madeleine Schuppli, Dr. Angela Stercken, Thomas D. Trummer. Gestaltet von Atelier Pol. 312 Seiten. Scheidegger & Spiess, Zürich 2019,CHF 49.– / CHF 42.– für Mitglieder des Aargauischen Kunstvereins
Veranstaltungen
Performancepreis Schweiz, Samstag, 21. September, ab ca. 11 Uhr
Der Performancepreis Schweiz 2019 findet in Zusammenarbeit mit dem Aargauer Kuratorium im Aargauer Kunsthaus statt. Ein Programm den ganzen Nachmittag lang und im ganzen Kunsthaus bietet Gelegenheit, die Schweizer Performancekunst in ihrer Vielfalt und Qualität zu entdecken.
Finalist/innen: Camille Alena (FR), Manifesto Reflex Collective (BS), Raphaëlle Mueller (GE), Romy Rüegger (ZH), Davide-Christelle Sanvee (GE), Steven Schoch (BS), Julie Semoroz (GE)
Weitere Informationen unter https://performanceartaward.ch
Gratiseintritt
Kuratorinnenführung
Donnerstag, 31. Oktober, 18.30 Uhr
Mit Madeleine Schuppli, Direktorin Aargauer Kunsthaus
Eintritt
Fritz Hauser – Schraffur für das Aargauer Kunsthaus
Freitag, 1. November, 18 und 19.30 Uhr
Samstag, 2. November, 18 und 19.30 Uhr
Ein Projekt des Künstlerhauses Boswil in Kooperation mit dem Aargauer Kunsthaus. Im Dialog mit der Ausstellung bringt der Perkussionist und Komponist Fritz Hauser das Kunsthaus zum Klingen: eine spektakuläre Kollektivperformance mit 100 Mitwirkenden.
CHF 35.– / CHF 25.– für Mitglieder KV und Personen mit ermässigtem Eintritt
Filmtag MASKE
Samstag, 9. November, Nachmittag
Ein Mini-Festival rund um die Maske im Film, vom experimentellen Streifen bis zum Horror-Blockbuster, kuratiert und kommentiert von Michael Sennhauser, u. a. Filmeredaktor bei SRF.
Simon Starling: Vortrag und Gespräch (Englisch)
Dienstag, 3. Dezember, 18.30 Uhr
Der britische Künstler und Turner-Preisträger spricht über die Videoinstallation Project for a Masquerade (Hiroshima) (2010-2011) mit Madeleine Schuppli, Direktorin Aargauer Kunsthaus. Anschliessend Apéro
Eintritt + CHF 10.-
- Aargauer Kunsthaus
Aargauerplatz, 5001 Aarau - Öffnungszeiten: Mo geschlossen, Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr,
- www.aargauerkunsthaus.ch