Kunst–Musik–Tanz. Staging the Derra de Moroda Dance Archives

Am Museum der Moderne Salzburg werden in einem einzigartigen interdisziplinären Projekt die an der Universität Salzburg angesiedelten Derra de Moroda Dance Archives inszeniert und durch Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler beleuchtet. Damit tritt das Museum erstmals in größerem Stil als Auftraggeber von Kunstwerken auf, die anlässlich der Ausstellung eigens produziert werden.

Das Museum der Moderne Salzburg widmet sich auf der großen Ausstellungsebene im Haus am Mönchsberg der Tanzkultur der Moderne und ihrer Bedeutung für die Kunst der Gegenwart. Ausgangspunkt der Ausstellung sind die Derra de Moroda Dance Archives, die seit 1978 an der Universität Salzburg angesiedelt sind. Als kulturelles Gedächtnis und Zentrum für die Forschung, Dokumentation und Wissensbildung über Tanz hat das Archiv weltweit Bedeutung erlangt. »Eines meiner Anliegen ist es, das Museum für eine Befragung der Moderne und einen multidisziplinären Kunstbegriff zu öffnen. Diese einzigartigen Bestände haben sich als Folie für eine aktuelle künstlerische Reflexion von Tanz und seinem Stellenwert im Kunstmuseum angeboten«, unterstreicht Sabine Breitwieser, Direktorin des Museums und Leiterin des Projektteams, das die Ausstellung erarbeitet hat.

Das Archiv ist nach seiner Gründerin Friderica Derra de Moroda (1897 Bratislava, SK – 1978 Salzburg, AT) benannt, die – so die Projektpart-nerinnen und Tanzwissenschaftlerinnen der Universität Salzburg Irene Brandenburg, Nicole Haitzinger und Claudia Jeschke – »in der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts als Künstlerin, Pädagogin, Choreografin und Forscherin eine bedeutende Rolle einnimmt.« Konzipiert wie zwei ineinandergreifende Ausstellungen, werden in fünf Themenräumen Höhepunkte der Bestände des Archivs und in sich dazwischen öffnenden Zonen zehn neue Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die vom Museum der Moderne Salzburg eigens für dieses Projekt beauftragt wurden.

Derra de Moroda hat bereits Anfang der 1920er-Jahre zunächst in London begonnen, systematisch Dokumente verschiedenster Art zu Tanz zu sammeln und damit ihr Archiv als eine der ersten Einrichtungen dieser Art in Europa begründet. Die umfangreichen Bestände umfassen heute Veröffentlichungen zum Tanz und verwandten Bereichen aus sechs Jahrhunderten. Neben Büchern, Fotografien und Notationen beinhaltet es Musikalien, Libretti, autografe Briefe, Journale und Zeitschriften, eine umfangreiche Sammlung ikonografischer Quellen sowie digitale Medien. Der Tanz der 1920er- und 1930er-Jahre prägte die Biografie und die Sammlung Derra de Morodas maßgeblich.

In der Ausstellung wird das Archiv in vier thematischen Schwerpunkten vermittelt: die Multimedialität des Tanzes, nationale und internationale Korrespondenzen, exotische Tänze sowie Entwürfe des modernen Tanzes. Ein fünfter Themenraum ist Derra de Moroda selbst gewidmet. Im Ausstellungsparcours treffen thematisch aufbereitete Inhalte des Archivs mit davon inspirierten Werken von zehn zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus sechs Ländern zusammen. Die Spannbreite der Medien reicht von Malerei, Zeichnung und Collage über Video- und Soundinstallation bis hin zu Performance-Kunst.

Das Buch Der moderne Tanz von Hans Brandenburg aus den Beständen des Archivs ist Ausgangspunkt einer Performance und Installation von Jonathan Burrows (1960 Bishop Auckland, UK – Lewes, UK), in der die Schwierigkeit des Archivierens von Tanz aufgezeigt wird. Der britische Künstler führt am Eröffnungstag der Ausstellung gemeinsam mit der Tänzerin Claire Godsmark und dem Komponisten Matteo Fargion am Klavier eine Performance auf. Philipp Gehmacher (1975 Salzburg – Wien, AT) präsentiert eine skulpturale Interventionen, in der er seine Idee des »Grauraums« als Hybrid aus White Cube und Black Box aufgreift. Ania Soliman (1970 Warschau, PL – Paris, FR, und New York, NY, US) reflektiert in ihren Zeichnungen und Collagen die Suche nach neuen Ausdrucksformen und medialen Vermittlungsweisen der sogenannten (Tanz-) Moderne. Auf Recherche basierende Mindmaps und eine Performance von Lia Perjovschi (1961 Sibiu, RO) nehmen explizit Bezug auf einzelne Aspekte der Moderne des Derra de Moroda Archivs. Eszter Salamon (1970 Budapest, HR – Berlin, DE, und Paris, FR) führt in ihrer Soundarbeit Love Letters to Valeska in imaginärer Form Korrespondenz mit Valeska Gert, einer jüdischen Tänzerin der 1920er-Jahre. Die Beziehung zwischen gesprochener Sprache und in Form von Tanz artikulierter Sprache, vor allem im Hinblick auf Friderica Derra de Morodas Leitung des propagandistischen Kraft-durch-Freude-Balletts in den 1940er-Jahren, ist Gegenstand einer Dreikanal-Videoinstallation von Andrea Geyer (1971 Freiburg, DE – New York, NY, US) mit dem Titel Truly Spun Never. In ihren Zeichnungen untersucht Ulrike Lienbacher (1963 Oberndorf / Salzburg – Salzburg und Wien, AT) den ephemeren Charakter von Bewegung und transferiert diesen in ein traditio-nelles Medium. Mit Notationssystemen, also der Vermittlung von Tanz durch Verschriftlichung, beschäftigt sich auch Kelly Nipper (1971 Edina, MN, US – Boston, MA, US) in ihrer neuen Videoinstallation. Die raumgreifende Installation des amerikanischen Künstlers und Komponisten Sergei Tcherepnin (1981 Boston, MA, US – New York, NY, US), die zwischen Musik, Komposition und bildender Kunst oszilliert, stellt über berührungssensitive Oberflächen eine Verbindung zwischen Exponat und Besucher_in her. Das Konzept des Archives und die Idee des Sammelns dienen Paulina Olowska (1976 Gdansk, PL – Krakau, PL), die auch das Motiv für das Ausstellungsplakat entworfen hat, als Basis ihrer Gemälde und Collagen, in denen sie einen Bezug zu dem populären Tanz der 1960er-Jahre herstellt.

Projektleitung: Sabine Breitwieser
Projektpartnerinnen: Irene Brandenburg, Nicole Haitzinger, Claudia Jeschke; Universität Salzburg, Tanzwissenschaften
Kuratorische Assistentinnen: Andrea Lehner, Verena Österreicher
Ausstellungsgestaltung: Kuehn Malvezzi