Krieg ist kein Spiel – aber die Vorbereitung auf einen Krieg oft schon. Der Erste Weltkrieg hatte, nicht nur in Deutschland, eine lange Vorlaufphase. Die Kinder bekamen Kriegsspielzeug und Matrosenanzüge geschenkt. Die militärischen Strategen spielten verschiedene Szenarien durch. Lobbygruppen spielten die Bedrohung Deutschlands durch seine europäischen Nachbarn hoch. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. spielte sich selbst, ohne seine Rolle als oberster Repräsentant der Nation auszufüllen. Das Attentat von Sarajewo führte zu internationalen Verwicklungen, nicht nur die deutsche Diplomatie spielte verrückt – das Spiel war aus, es wurde grausam ernst.
„Krieg spielen“ – 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges verharmlost die Ausstellung mit Kinderspielzeug und Familienfotografien aus der Kaiserzeit die Katastrophe nicht. Indem sie nach der alltäglichen, spielerischen Gewöhnung an Feindbilder und Obrigkeitskult fragt, geht sie den Vorbedingungen nach. Mehr als dem bösen Bildfaszinosum des Krieges widmen sich Ausstellung und Katalog der heilen und bewohnbaren Welt, die im Krieg unterging. Lebendig wird das damalige Leben in idyllisch anmutenden Städten, Gartenlauben, behaglichen Wohnungen und bei Familienfesten auf den historischen Fotografien von Caspar, Wilhelm und Robert Martin Eltner aus der Sammlung Simone Demandt. Die bisher unveröffentlichten Motive zeigen eine eigenartige, kindliche Heiterkeit vor dem nahen Abgrund des Ersten Weltkrieges. Das drohende Unheil wird in diesen Fotografien vor 1914 zwar inszeniert, aber von den Beteiligten vor und hinter der Kamera nicht ernst genommen. Das vermeintliche Wahrheitsmedium Fotografie verführt die Erwachsenen zur kindlich magischen Fiktionalisierung der technischen und militärischen Realitäten. Diese gespenstische Ambivalenz macht die Aufnahmen aus scheinbar rein privater Perspektive zu historischen Dokumenten einer epochalen Illusion.
Die Widersprüche der Zeit vor 1914 – technologischer Fortschritt und obrigkeitsstaatliche Repression, souverän gesteuerter Wirtschaftsboom und schwankende politische Führung – spiegeln sich in vielen Gegenständen und Bildern der Alltagskultur seit 1900 wider. Die politische Karikatur, von der hervorragende Exemplare in der Ausstellung zu sehen sind, lief vor 1914 zu beißender, hellsichtiger Hochform auf – und konnte bei aller Übertreibung den kommenden Horror kaum voraussehen. Aus heutiger Sicht ist eine andere Bildwelt aufschlussreicher. Kinderspiele waren oft Kriegsspiele. Dass sich ein Markt für Bausätze und Miniatureisenbahnen etablierte – wie die Leihgaben aus der historischen Spielzeugsammlung Tobias Mey innerhalb der Ausstellung zeigen – zeugt vom sich ausbreitendem Wohlstand im Bürgertum. Ein Bewusstsein darüber, wie man ein anständiger Deutscher sein konnte, musste im Bürgertum erst gebildet werden. Die junge (Wieder-)Erfindung der Deutschen Nation stabilisierte sich durch aggressive Abgrenzung zur wirtschaftlichen und geopolitischen Konkurrenz aus Frankreich und England.
Die Ausstellung ist bis zum 1. März 2015 in Baden-Baden zu sehen. Sie entsteht im Rahmen des Netzwerks Museen und ergänzt inhaltlich an bedeutender Stelle die zahlreichen Veranstaltungen zur Erinnerung an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Der Katalog KRIEG SPIELEN. Kunst und Propaganda vor dem Ersten Weltkriegist erschienen im Athena Verlag, 248 Seiten, mit zahlreichen farbigen und schwarzweißen Abb., Hardcover 17,0 x 24,0 cm.
Mit Essays von Simone Demandt, Bernd Künzig, Tobias Mey, Peter Steinbach, Barbara
Wagner, Matthias Winzen.