Das Klingspor-Museum Offenbach bietet in Zusammenarbeit mit der Japanologie der Universität Frankfurt und dem Museum Angewandte Kunst Frankfurt in der Ausstellung Japan auf Reisen eine Annäherung an die einzigartige Kunst des Buches und des Farbdruckes in der japanischen Frühmoderne.
Vor unseren Augen vollzieht sich langsam eine Entwicklung, die entweder nicht wahr- oder zumindest fast stillschweigend hingenommen und von den betroffenen Interessengruppen kaum öffentlich beklagt wird: Der Untergang des Buches! Alteingesessene, große, gut sortierte Buchhandlungen müssen einander ähnelnden Kettengeschäften mit immer gleichem Angebot weichen, das E-Book verdrängt das gedruckte Buch und die Universitäten beklagen nicht zu übersehende Lese- und Schreibschwierigkeiten vieler Studienanfänger, die auf die Entfremdung vom geschriebenen Wort zurückzuführen sind.
Doch genug des Lamentierens. Hier soll die Uhr zurückgedreht werden in eine goldene Zeit, in der das Buch als Massenartikel den Aufbruch in eine Ära unbegrenzter Möglichkeiten der Unterhaltung, der Bildung und Erbauung und des kritischen Denkens bot und daher nicht selten Gegenstand der Unterdrückung wurde. Japan eignet sich dazu hervorragend, nicht nur deshalb, weil in diesem Land noch immer Buchgeschäfte von hierzulande ungeahnten Ausmaßen mit teils acht Stockwerken in gar nicht kleiner Zahl anzutreffen sind, sondern weil dort seit dem 17. Jahrhundert eine beispiellose Entwicklung des Buches, der Ausdrucksmöglichkeiten dieses revolutionären Mediums und des kunstvollen Druckens überhaupt einsetzte.
Ellis Tinios (Universität Leeds), einer der besten Kenner der Thematik, formulierte es so: »Illustrierte, im Holzblockdruckverfahren gedruckte Bücher aus Japan zwischen 1600 und 1900 stellen eine bemerkenswerte Leistung dar hinsichtlich ihrer technischen Perfektion, der Vielgestaltigkeit ihrer Themen und des hohen ästhetischen Standards. Künstler schufen Entwürfe ausschließlich für die Produktion in Buchform, und viele von ihnen steigerten ihre Reputation mittels dieser Veröffentlichungen. Eine vergleichbar nachhaltige Tradition kommerziell hergestellter und künstlerisch bedeutsamer bebilderter Bücher existierte weder in China noch im Westen. In keinem anderen Land erreichten illustrierte Bücher einen derart hohen Grad der Bedeutung im Verhältnis zur nationalen Kunst insgesamt. Dieses Genre, der westlichen Erfahrung so fremd, wurde lange mißverstanden und vernachläßigt, selbst von denen, die sich mit der Kunst Japans beschäftigten.«
Die Ausstellung im Klingspor-Museum möchte auf das hohe Niveau des japanischen
Holzblockdruckverfahrens im Einzelblattdruck wie auch in der Buchproduktion aufmerksam machen und gleichzeitig unter Einbezug früher, in prachtvollen Farben von Hand bebilderter und kaum je der Öffentlichkeit zugänglich gemachter Bücher aus dem Besitz des Museums Angewandte Kunst Frankfurt die einzigartige Geschichte des illustrierten Buches in der japanischen Frühmoderne dokumentieren. Thematischer Fokus bei der Auswahl der Exponate ist dabei das Motiv des Reisens.
250 Jahre anhaltenden Friedens führten im Japan des 17. bis 19. Jahrhunderts zu einer neuartigen, bürgerlich geprägten Kultur der kurzweiligen Unterhaltung, charakterisiert durch Vergnügungssucht und Respektlosigkeit gegenüber althergebrachten Werten. Neu war auch die Mobilität: Ein effizientes Netz von Handelsstraßen mit Raststationen und anderen Elementen einer Reiseinfrastruktur verband Edo (heute Tokyo) mit den Provinzen. Über diese Routen zogen Fürsten und Händler. Aber viele Japaner gingen auch – oft zum Vergnügen – auf Pilgerreise zu religiösen Zentren, in deren Umfeld sich touristische Attraktionen entwickelten.
Die Ausstellung vereinigt Bilder der umfangreichen Reisetätigkeit: illustrierte Blockdruckbücher aus der Sammlung Edo bunko (Japanologie, Universität Frankfurt), ukiyoe-Holzschnitte und Nara ehon- Manuskripte in prächtigen Farben aus dem Museum Angewandte Kunst Frankfurt. Ein faszinierendes Spiegelbild einer Welt, die angesichts der weitgehenden Abschließung Japans der Außenwelt lange verborgen blieb, entfaltet sich. Als eines der wichtigsten Kulturgüter, das in dieser Zeit zur Blüte gelangte, ist der Blockdruck anzusehen, der mitunter in enger Verbindung zum Reisen steht. Das Reisen und die berühmten Orte entlang der Routen lieferten den Stoff und die Motive für Bücher und Einzelblattdrucke. Diese wiederum regten das Reisen an, indem sie die inländischen Sehenswürdigkeiten thematisierten und in Form der Reiseführer und der Reiseliteratur den Weg zu ihnen ebneten.
Japan auf Reisen – das ist also nicht nur im Sinne einer Beschäftigung mit den faszinierenden Einzelheiten der Reisekultur und ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung zu verstehen. Es geht symbolisch auch um die Entwicklung zum Buch; zu einer lesenden Gesellschaft, in der das Buch in all seinen Variationen einen ungleich höheren Stellenwert im Leben weiter Kreise der Bevölkerung einnahm als sonst irgendwo auf der Welt. Und selbst heute ist das noch so, obwohl auch japanische Wissenschaftler beklagen, daß Studienanfänger mit immer schlechteren Lesefertigkeiten an die Universitäten kommen, und wenngleich auch die schönen Buchgeschäfte mit ihren acht Stockwerken die unternehmerische Notwendigkeit verspüren, Kaffeestuben einzurichten, als reiche der Durst nach dem geschriebenen Wort und seiner augenöffnenden Kraft als Antriebskraft für den Besuch eines Buchgeschäfts heutzutage nicht mehr aus. Aber wo ist dann dieser Durst? Ein Besuch im Klingspor-Museum Offenbach mag ihn neu entfachen!
Klingspor-Museum
Herrnstr. 80, 63065 Offenbach
Öffnungszeiten: Di, Do, Fr 10 – 17 Uhr
Mi 14 – 19 Uhr
Sa, So 11 – 16 Uhr