Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck liefert mit der großen Ausstellung Genese Dada. 100 Jahre Dada Zürich, die in Kooperation mit dem Direktor des Cabaret Voltaire in Zürich, Adrian Notz, erarbeitet wurde, einen zentralen Beitrag zum europaweit gefeierten Dada-Jahr 2016.

Am 5. Februar 1916 von Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Tristan Tzara und Hans Arp im Cabaret Voltaire in Zürich gegründet, wurde Dada zu einer der zentralen Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts. Anlässlich des Jubiläums widmet sich das Arp Museum Bahnhof Rolandseck den Anfangsjahren der Kunstbewegung und erweckt die bedeutenden Entstehungsorte Dadas wieder zum Leben: die legendäre Künstlerkneipe Cabaret Voltaire und die eher bürgerlich orientierte Galerie Dada. »Als Gegengewicht zum dionysischen Cabaret wurde die apollinische Galerie eingesetzt. Nur durch die beiden Komponenten Cabaret Voltaire und Galerie Dada konnte die Unruh von Dada in Schwingung gebracht werden«, konstatiert Adrian Notz.

Die Abkehr vom Krieg und die Entdeckung des Nichts

Im Wechselspiel zwischen den beiden gegensätzlichen Geburtsstätten entwickelte sich im damals äußerst kosmopolitischen Zürich – einer der Flüchtlings­metropolen Europas – der Geist Dadas. Ein wichtiger Ausgangspunkt war der überzeugte Pazifismus der Protagonisten. Selbst die Künstler, die sich anfangs dem allgegenwärtigen Kriegstaumel nicht ganz entziehen konnten, sagten sich von ihm los und versuchten, die Geschehnisse jenseits der so sicher erscheinenden Gebirgsketten zu verdrängen. Gleichzeitig waren es die Grauen des Krieges, die alles Bestehende so nichtig erscheinen ließen – und das Nichts so zum neuen Gott erhoben.

Die große Revolte gegen die Traditionen und Konventionen – ohne politische Ideologie

Zugleich wurden die bürgerliche Gesellschaft und ihr gängiger Wertekanon, die den Ersten Weltkrieg hervorgebracht hatten, zur Zielscheibe des künstlerischen Protestes erklärt. Die etablierte Kunst als Teil dieser Gesellschaft wurde als reaktionär und überholt abgelehnt. Stattdessen suchten die Dadaisten nach neuen Ausdrucksformen, in der darstellenden wie in der bildenden Kunst. In den legendären Soireen im Cabaret Voltaire wurde gedichtet, gesungen, hinter Masken getanzt und den anarchischen Kräften von Geist und Körper Tribut gezollt. Die bisweilen absurde dadaistische Performance war durchaus mehr als eine Narretei – und doch war sie kein Akt dezidierten politischen Protestes. Die Dadaisten verweigerten sich einer klaren Zuordnung zu einer politischen Haltung. Vielmehr war es die Macht der Ratio und ihrer vermeintlichen Strategien, die nun zum Urgrund aller kollektiven Verbrechen erklärt wurde. So erteilten die Künstler der Logik eine radikale Absage.

Befreiung der Sprache und Lob des Archaischen sowie der mystischen Naturverbundenheit

Der Abgesang auf die herrschenden Mächte und ihre Propaganda führte zu neuen Formen des sinnlichen, aber unsinnigen Sprachgebrauchs. In Simultan- und Lautgedichten suchten die Dadaisten die Grenzen des Vernunftdenkens zu überwinden. In mystischen Übungen diente das Unterbewusstsein als Quelle des unmittelbar Schöpferischen, wobei zeitgenössische Theorien und wissenschaftliche Schriften der Psychoanalyse, etwa von C. G. Jung, wichtige Impulse lieferten. In ihrer Suche nach vorsprachlichen, urwüchsigen Ausdrucksformen und einer Sehnsucht nach der vorzivilisierten Natur spiegeln die Dadaisten einen Aspekt des Zeitgeistes. Die Lebensreformer und Nudisten, die etwa zeitgleich im schweizerischen Ascona auf dem Monte Verità im Einklang mit der Natur lebten und mit den Dada-Künstlern in regem Austausch standen, sind hier beispielhaft zu nennen. Auch das starke Interesse an der afrikanischen Kunst, die mit dem so genannten Primitivismus weithin ihre Würdigung erfuhr, fügt sich hier ein. Von Klischees geprägt, wird die so genannte »Negerkunst« in europäischen Ausstellungen gefeiert und ihre Formensprache zu adaptieren versucht. Die exotischen Rhythmen wiederum lieferten Inspiration für theatralische Darbietungen und maskierte Tänze, in denen man das Unmittelbare, Spontane und Unkontrollierbare anstrebte, das mit den Kulturpraktiken primitiver Stämme assoziiert wurde.

Vom Zürcher Kabarett zur Internationalen Bewegung

Die »wilde« Initiationsphase im Cabaret Voltaire setzte sich in der benachbarten Galerie Dada fort. Mit dem Ortswechsel lässt sich jedoch auch eine gewisse Professionalisierung erkennen. Durch öffentliche Führungen und den Kontakt zu Journalisten sollte gezielt ein kunstaffines Publikum erreicht werden. Neben den Soireen wurden in der Galerie vermehrt Ausstellungen gezeigt, bei denen auch Werke namhafter internationaler Avantgarde-Künstler zu sehen waren. Die Ablehnung der etablierten Kunst durch die Dadaisten wandelt sich hier in das Bestreben, mittels Bezügen zum Surrealismus, Futurismus oder Kubismus den Anschluss an die internationale Kunstszene zu gewinnen. Die dadaistischen Manifeste und Schriften, die Hugo Ball und seine Mitstreiter publizierten, dienten dabei als Medium der Verbreitung. Es bildeten sich Dada-Zentren in Hannover, Berlin und Köln aber auch in Paris und New York, und Dada revolutionierte innerhalb kürzester Zeit die Kunstwelt.

Dada – kein Stil, sondern …

Die Ausstellung widmet sich intensiv dem intellektuellen und wissenschaftlichen Nährboden der Zeit, aus dem Dada hervorging. Themen wie Mystik, Psyche, Revolte, Philosophie und Literatur stehen dabei in engem Wechselspiel zu den verschiedenen künstlerischen Formen und Praktiken, die sich unter dem Einfluss der Dadaisten in eine gänzlich neue Richtung entwickelt haben – von Tanz, Theater, Poesie und Neuer Musik bis hin zu Masken und Kostümen, Collagen, Objekten, Gemälden und Grafiken. Entscheidend ist hierbei die im Ausstellungskatalog festgehaltene Schlussfolgerung des Dada-Kenners Tobia Bezzola, dass sich der Dadaismus nicht auf einen Stil reduzieren lasse. Anders als andere Ismen der modernen Avantgarden sei Dada nicht an einer spezifischen Form zu erkennen und an ihr zu charakterisieren. Als proklamierte »Stunde Null« in der Kunst stellt Dada somit einen Bruch mit einer chronologisch nachvollziehbaren Stilentwicklung dar, wie sie die Kunstgeschichte von der Neuzeit bis zur Postmoderne konstruiert. Damit wird die Dada-Bewegung zum Modellfall für nachfolgende Strömungen wie Fluxus oder auch die Performance- und Aktionskunst.

Von der Dada-Schleuse zur Rauminszenierung

In der Ausstellung werden Werke aus dem engeren Kreis der Zürcher Dadaisten (Hans Arp, Hans Richter, Marcel Janco u. a.) in ihrem künstlerischen Umfeld (Arthur Segal, Max Oppenheimer, Adya und Otto van Rees u. a.) präsentiert. Hinzu kommen Gemälde und grafische Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern der internationalen Avantgarde wie Heinrich Campendonk, Giorgio de Chirico, Paul Klee, August Macke, Elie Nadelman, Pablo Picasso und Hilla von Rebay, die auch in den historischen Dada-Ausstellungen zu sehen waren. Als Leihgeber konnten hierfür renommierte Sammlungen wie das Guggenheim Museum und das Museum of Modern Art, New York, das Kunsthaus Zürich, das Folkwang Museum, Essen, u. v. a. gewonnen werden.

Die Kunstwerke sind in eine anschauliche, multi-mediale Inszenierung eingebettet: Bevor die Besucher die Ausstellung betreten, durchlaufen sie eine Bild- und Klangcollage, die sogenannte »Dada-Schleuse«, die sich von den unterirdischen Tunneln über den Aufzug bis ins 1. Obergeschoss des Richard Meier-Baus erstreckt. In zwei Ausstellungskuben werden die räumliche Situation des Cabaret Voltaire und der Galerie Dada nachempfunden, so dass die unterschiedliche Atmosphäre der beiden Lokalitäten erkennbar wird. Um diese beiden Zentren gruppieren sich verschiedene Themenfelder, die die Entstehung von Dada anhand zahlreicher Kunstwerke und Zeitdokumente greifbar machen. Ergänzt wird die Präsentation durch den Film »Dada in Nuce« und durch von Adrian Notz entwickelte Diagramme, die wie das »Firmament Dada« die internationale Vernetzung der Bewegung deutlich machen. Kuratiert wird die vielfältige Schau von Adrian Notz (Cabaret Voltaire, Zürich) und Astrid von Asten unterstützt von Sylvie Kyeck (beide Arp Museum Bahnhof Rolandseck).

Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Katalog (deutsch/ englisch, Verlag Scheidegger & Spiess, Preis: 38 Euro), in dem unter anderem auch die Rolle Hans Arps bei der Entstehung von Dada erläutert wird. »Unser Hauspatron Hans Arp zählt zu den Gründungsmitgliedern jener künstlerischen Bewegung, die 1916 von Zürich aus innerhalb kürzester Zeit das Kunstgeschehen weltweit nachhaltig veränderte,« so Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Arp Museums Bahnhof Rolandseck und künstlerischer Leiter des Künstlerhauses Schloss Balmoral in Rheinland-Pfalz. »Wie sich die dadaistischen Ideen in der Züricher Zeit manifestierten, aber auch wie sie sich auf nachfolgende Künstlergenerationen auswirkten und bis in die Gegenwart hinein strahlen, möchten wir dem Museumspublikum in der Ausstellung Genese Dada, in der parallel zu sehenden Schau Seepferdchen & Flugfische, aber auch in allen anderen Ausstellungen dieses Jahres in unserem Haus näher bringen.«

Dada war gestern! Ist Dada heute?

Im Rahmen der Ausstellung »Genese Dada« wird auch die Frage nach der Relevanz von Dada heute gestellt. Einige Antworten darauf werden in der Präsentation von Stipendiatinnen und Stipendiaten zu finden sein, die 2015/16 ein Anwesenheitsstipendium im Künstlerhaus des Landes Rheinland-Pfalz auf Schloss Balmoral in Bad Ems haben. Dort arbeiteten künstlerische Gäste aus aller Welt drei bzw. neun Monate zum Thema »Dada«. Unter dem Titel Seepferdchen und Flugfische. Stipendiatinnen und Stipendiaten des Künstlerhauses Schloss Balmoral und des Landes Rheinland Pfalz 2015 werden ihre Werke im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in den historischen Ausstellungsräumen des Bahnhofs parallel zur Hauptausstellung Genese Dada präsentiert.

  • Landes-Stiftung Arp Museum Bahnhof Rolandseck
    Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 bis 18 Uhr
  • www.arpmuseum.org