Exo-Evolution

Die Ausstellung Exo-Evolution zeigt die Verschränkung von Kunst und Wissenschaft und die künstlerische Anwendung neuer Technologien. Mit mehr als 100 Positionen und den Modulen Allahs Automaten und The Future Is Here eröffnet sie neue Perspektiven auf unsere Herkunft und Zukunft.

Der Mensch hat im Laufe der Jahrtausende eine Werkzeugkultur hervorgebracht, welche die Grenzen der Wahrnehmung, der Handlungsfähigkeit und der Welt erweiterte. Er lagerte die Funktionen seines Körpers aus: die Hand in den Hammer, das Sprechen in die Schrift, das Gedächtnis in Tontafeln, Bücher und digitale Speicher etc. Technologie lässt den Menschen aus der Evolution heraustreten und befreit ihn aus der Gewalt der Natur. Mit seinen Werkzeugen und exteriorisierten künstlichen Organen kreiert er eine menschengemachte Exo-Evolution, die das Zeitalter des Anthropozän eingeleitet hat. Die Ausstellung Exo-Evolution zeigt diese neue Realität, die geprägt ist von einschneidenden Erkenntnissen der Weltraumforschung, der Molekularbiologie, der Neurologie, der Genetik und der Quanteninformatik. Sie zeigt uns Visionen und Lösungen für Probleme des 21. Jahrhunderts, z.B. die Abspaltung von Sauerstoff aus CO2 als Reaktion auf die Klimakrise oder neuartige Organismen, die sich angesichts gravierender Umweltverschmutzung angepasst und optimiert haben.

Prozesse der Evolution werden vom Menschen geleitet

Durch die technische und industrielle Revolution ist der Mensch einmal mehr zum Freigelassenen der Schöpfung geworden. Diesen Vorgang, das Heraustreten des Menschen aus der natürlichen Evolution, bezeichnet der Begriff »Exo-Evolution«. Von der Exo-Biologie bis zu Exo-Skeletten hin zu Exo-Schwangerschaften entstehen immer ausdifferenzierter die  Konturen  einer neuen Welt, die zutiefst technologisch geprägt ist. Auch das Leben selbst, die Fortpflanzung des Lebens, wird vom Menschen externalisiert und technisch hergestellt.

An der Schwelle zu einer neuen Material- und Werkzeugkultur

Neben geleiteten Prozessen der Evolution werden auch neue Materialtechnologie unser Leben radikal verändern: Mithilfe künstlicher Gewebe werden biologische Defekte ‚repariert’. Außerhalb des Körpers angebrachte Wirbelsäulen und Nervenkorsette, sogenannte Exo-Skelette, werden körperlich Behinderten helfen, sich zu bewegen. Von der Automobil- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie über die Verpackungsindustrie bis hin zur Medizin- und Zahntechnik und zum Bioprinting – bietet vorallem das 3-D-Druckverfahren in unterschiedlichen Produktionsbereichen grundlegende Vorteile zur Erstellung von Prototypen, Werkstücken und Ersatzteilen.

In der Ausstellung wird das 3-D-gedruckte Exo-Skeletton Wilmington Robotic Exoskeleton (WREX), das von Nemours Children’s Health System in Zusammenarbeit mit dem Alfred I. du Pont Hospital for Children in Wilmington (USA) entwickelt wurde, gezeigt. Die Maschine hilft bei der Bewegung der oberen Gliedmaßen, wobei passive Elemente wie Federn zum Einsatz kommen, um die Auswirkungen der Schwerkraft auszugleichen. Das WREX ermöglicht es Kindern, die unter neuromuskulären Erkrankungen leiden, bei der Erledigung täglicher Aufgaben, die sie ansonsten nur mit fremder Hilfe durchführen können.

3-D-Druckverfahren in Architektur und Kunst

Der 3-D-Druck wird inzwischen auch in Architektur und Kunst immer häufiger eingesetzt. Eine sich ständig weiterentwickelnde algorithmische Infrastruktur erlaubt es der Architektin und Designerin Alisa Andrasek, in ihrem Labor mit Informationen zu arbeiten, die mit verschiedenen Formen von Materialisierung verknüpft sind. XenoCells basiert auf einem Algorithmus, der biologisches Zellwachstum (Morphogenese) simuliert. Bei derartigen Prozessen können die Zellen sich örtlich differenzieren, um auf Nährstoffe und Hemmstoffe zu reagieren. Das Ergebnis ist eine Designwelt, in der scheinbar vertraute Objekte und architektonische Einheiten von einer ungesehenen Komplexität  durchdrungen sind.

Verwissenschaftlichung der Kunst: Renaissance 2.0

Vom Mikroskop zur Computertomografie haben sich die Techniken der Wahrnehmung in der Wissenschaft weiterentwickelt. Die neuen Medien überführen die Techniken der apparativen Perzeption, von Fotografie bis Computer, in das Reich der Kunst. Eine Verwissenschaftlichung  der Kunst wie in der Epoche der Renaissance zeichnet sich ab: eine Renaissance 2.0. Nachdem sich KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen eine gewisse Schnittmenge von Werkzeugen teilen, sehen die Studios von KünstlerInnen gelegentlich aus wie die Laboratorien der Wissenschaft – und umgekehrt. Vor diesem Hintergrund entstehen neue Forschungsmethoden und Perspektiven wie art-based research oder Art & Science Labs.

Anthropozän-These

Um uns herum wird immer weniger Natur und immer mehr Technik sein. Das Zeitalter des Anthropozäns, einer von Menschen gestalteten geologischen Epoche, ist angebrochen. Für die Ausstellung Exo-Evolution hat die multidisziplinäre Designerin Yesenia Thibault-Picazo eine Installation angefertigt, die ausschließlich aus vor Ort in Karlsruhe gesammelten Materialien besteht. Im Zuge ihrer Betrachtung fragt Thibault-Picazo nach der Zukunft der Geologie und erkundet spekulative Narrative. Sie produziert von zukünftigen Menschen erschaffene Minerale mit anthropogenen Materialien. Die von ihr hergestellten Fossilien – die sie »material tales«  [Materialgeschichten]  nennt – sind eine ins Extreme getriebene Vorausschau auf das, wozu irdische Materialien in ferner Zukunft werden könnten, wenn unsere Zivilisation ihren Rohstoffverbrauch nicht gründlich überdenkt.

Visionen für die Probleme des 21. Jahrhunderts

Neben Maschinen, die ihr eigenes Leben führen, stellt die Ausstellung Exo-Evolution auch Visionen und Lösungen für die ökologischen Probleme des 21. Jahrhunderts vor: Der Materialwissenschaftler und Nanotechnologie-Pionier Geoffrey Ozin forscht mit seinem Team an der University of Toronto nach einer Möglichkeit der nachhaltigen Energiegewinnung und -speicherung, die den Problemen des Klimawandels begegnet. Inspiriert durch die Photosynthese werden in der sogenannten Solar Refinery unter Rückgewinnung von Kohlenstoffdioxid aus der Luft und Heranziehung von Sonnenenergie synthetische Treibstoffe gewonnen. Diese besitzen das Potenzial, hinsichtlich ihrer Speicherbarkeit, Distribution und Verarbeitung in die Fußstapfen fossiler Energieträger zu treten, ohne dabei neues CO2 in die Atmosphäre zu emittieren. Damit nimmt sich der visionäre Ansatz den natürlichen Kohlenstoffkreislauf der Erde zum Vorbild.

Begleitend zur Ausstellung werden zwei Module gezeigt:

Modul I

The Future Is Here

Kuratorin Ljiljana Fruk und Co-Kurator Bernd Lintermann

The Future Is Here ist ein künstlerisches Projekt mit einem stark wissenschaftlichen Hintergrund und zugleich auch ein wissenschaftliches Projekt, das die Möglichkeiten künstlerischer Mittel erforscht, mit denen wissenschaftliche Entwicklungen an der Grenze zur Science-Fiction illustriert und begreifbar werden. Inspiriert von jüngsten wissenschaftlichen Fortschritten wie der Kartierung dunkler Materie und dem Synthetisie- ren exotischer Kohlenstoff-Materialien, lädt es die BetrachterInnen ein, Teil der Installationen zu werden und ihren Wissenshorizont zu erweitern. Dabei wird im Projekt nicht auf herkömmliche Lehrmethoden zurückgegriffen, die Philosophie des Projekts besagt vielmehr, dass Wissenschaft, Technologie und Kunst sowie Sinne und Gefühle dazu genutzt werden sollen, sich mit hochmodernen Themen wie dunkler Materie, Nanotechnologie, DNS-Synthese und gelenkter Evolution auseinanderzusetzen.

Modul II

Allahs Automaten. Artefakte der arabisch-islamischen Renaissance (800–1200)

Kurator Siegfried Zielinski in Zusammenarbeit mit Eckhard Fürlus und Daniel Irrgang

Ausgehend vom Haus der Weisheit, das – nach dem Modell der persischen Akademie von Gundischapur – in Bagdad gemeinsam  von  Christen, Juden und Muslimen aufgebaut wurde, entstand unter islamischer Hegemonie eine elaborierte Kultur der Übersetzung, Übertragung, Adaptation und Weiterentwicklung antiker Ideen. Die Texte griechischer oder indischer Mathematiker und Naturphilosophen wurden ebenso bearbeitet wie die Traktate römischer, alexandrinischer, persischer oder byzantinischer Ingenieure, Geometer und Astronomen. Allahs Automaten zeigt ein besonderes Mikrouniversum innerhalb des ungeheuren Reichtums an mathematischem, naturphilosophischem und physikalischem Wissen dieser frühen Renaissance. In den künstlichen Selbstbewegern vereinigen sich elaborierte Kenntnisse der Mechanik, der Kinetik, der Hebe- und Schublehre, der Hydraulik und Hydrostatik, der Pneumatik.

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