Eishockey, Kunst, Musik und das Reisen

»Gary Taxali erweckt alte Träume zum Leben«, sagt der Designkritiker Steven Heller. »Taxalis Arbeit erinnert an längst vergangene Zeiten, als kugelrunde, unbeholfene Comic-Charaktere durch Zeitungsseiten und Comic-Hefte spazierten.«1)Steven Heller, Einleitung zur Publikation “Mono Taxali” 2011, http://www.garytaxali.com/gary-taxali-reviver-of-dreams-by-steven-heller/

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Der kanadische Illustrator Gary Taxali, der als Kind mit seiner Familie aus Indien nach Kanada kam, hat in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren viel Anerkennung erhalten. Er illustriert für zahlreiche internationale Magazine, gestaltet Buchcover, Kinderbücher und entwarf ein Grammy-nominiertes LP-Cover für Aimee Mann. Als Dozent hält er Workshops auf der ganzen Welt, außerdem ist er seit kurzem Associate Professor an der Ontario College of Art and Design University. Seinen 77.000 Facebook-Fans antwortet er stets und mit vollendeter kanadischer Freundlichkeit.

Zu Gary Taxalis typischen Elementen zählt die Verwendung von altem, auf Flohmärkten und in Second-hand Bookshops gefundenem Papier, inklusive zufälliger Kritzeleien der vorherigen Besitzer. Auf dieser Unterlage agieren Figuren, die aus den vergessenen Archiven der Typografie- und Werbegeschichte zu stammen scheinen. Die Generation der Michelin-Männchen treibt hier als unternehmungslustige Aktiv-Senioren ihr fröhliches Unwesen.

Vor Kurzem war Gary mit weiteren Illustratoren an einer Ausstellung zum Thema Eishockey im Deutschen Sport & Olympia Museum in Köln beteiligt.2)http://www.jitter-magazin.de/eiszeit-illustrationen-on-ice/ Bereits im Winter hatten die Künstler praktische Erfahrung bei Hockey-Trainings in Köln sammeln können. Mit im Team sind die deutschen Illustratoren Thilo Rothacker und Thomas Fuchs sowie der Franzose Pierre Ferrero. Die Ausstellung wurde von dem Kunstveranstalter Markus Schüle anlässlich der IIHF Eishockey-Weltmeisterschaft 2017 organisiert.

Heinrich Raatschen: Dies ist ein Auftrag für ein Museum. Ist das eine ungewöhnliche Erfahrung?

Gary Taxali: Nein, ungewöhnlich ist es nicht. Gleich, ob es sich um ein Museum oder eine Galerie handelt, in Bezug auf den kreativen Prozess gibt es keinen Unterschied. Was aber angenehm ist, es fehlt der Druck, die Arbeiten zu verkaufen. Man muss dann nicht die kommerziellen Überlegungen einer Galerie anstellen.

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Worauf hast du besonders geachtet, als du vor Ort warst?

Die Geschichten tauchten einfach so auf: während wir die Umkleideräume besuchten, zu den Spielen gingen, bei den Trainingsrunden dabei waren, den Stories des Managers zuhörten, mit den Spielern sprachen. So konnten wir uns in das Team der Kölner Haie und den deutschen Eishockey einfühlen. Das hat den kreativen Prozess in Gang gesetzt und uns Ideen für das Projekt gegeben.

Außerdem sind zwei der anderen Künstler wirklich gute Freunde von mir: Thomas Fuchs und Thilo Rothacker. Wir drei haben im Laufe der Jahre viel Zeit zusammen verbracht, haben zusammen gezeichnet, Urlaub gemacht und gemeinsame Kunstprojekte umgesetzt. Wir denken alle visuell und haben uns gegenseitig unterstützt.

Was unterscheidet diesen Auftrag von einem für ein Magazin?

Hier stand nur das Thema Hockey fest. Es gab keinen redaktionellen Rahmen. In mancher Hinsicht ist das härter, denn du bist keinem bestimmten Blickwinkel verpflichtet.

Nur ein Teil deiner Ausstellungen bisher waren in Kanada, die meisten in den USA. Liegt es daran, dass Kanada 35 Millionen Einwohner hat und Amerika 322 Millionen?

Die USA sind das größere Land, und das bedeutet, es gibt mehr Sammler, mehr Firmen, mehr Galerien, mehr Möglichkeiten, mehr Geld. Meine Karriere findet zum größten Teil in den Vereinigten Staaten statt. Ich habe keine Galerie in Kanada, was schade ist. Meine wichtigste Galerie, Jonathan LeVine, ist in New York. Ich glaube auch, dass man in den USA in der Kunst mutiger ist, jedenfalls was die Galerien angeht. Es gibt aber in Kanada unglaubliche Talente.
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Du hast in Los Angeles in der Galerie La Luz de Jésus ausgestellt?3)Die von Bill Shire 1986 eröffnete Galerie La Luz de Jésus gilt als Gründungsstätte von Low Brow Art und Pop-Surrealismus.

Das auch. Und vor wenigen Wochen wurde die Gruppenausstellung For Goodness Sake in der Galerie La-La Land in Los Angeles eröffnet. Außerdem arbeite ich gerade mit dem National Pastime Museum. Tatsächlich habe ich das Markus Schüle zu verdanken. Beim National Pastime Museum dreht sich alles um Baseball – also haben sie mich mit einer Arbeit zum Thema Baseball beauftragt. Ich habe ihnen die sieben Motive gezeigt, die für die Ausstellung in Deutschland entstanden sind, und sie sagten, wir wollen das Gleiche. So kam es zu dem Auftrag – das war toll!

Auf deiner Facebook-Seite postest du viel Independent-Musik aus den 1980er Jahren und unbekannte Rocksteady-Ska-Bands aus den 1960ern. Gefällt es Dir Dich als Teil einer Generation zu verstehen?

Oh ja, Musik ist wie Kunst ein Spiegelbild der Zeit. Ohne Musik kann ich nicht zeichnen und malen. Viele meiner Freunde sind Musiker. Ich selbst habe kein musikalisches Talent, aber ich bin deswegen nicht unzufrieden. Wenn ich in diese Welt eingestiegen wäre, hätte mich das unter Druck gesetzt. Aber weil ich mich nicht darum kümmern muss Musik zu machen, kann ich sie einfach genießen und mich anderen Dingen widmen.

Du hast in den späten 1980ern und frühen 1990er Jahren in New York gelebt. Warst du im Umfeld von Art Spiegelmans RAW-Magazin aktiv?

Tatsächlich habe ich RAW erst viel später entdeckt – und dann war ich begeistert. Aber ich kannte es nicht in der Zeit, als ich meinen Stil ausgebildet habe. Ich wurde eher von MAD Magazinen, abstraktem Expressionismus und Pop Art beeinflusst. Ich liebe Warhol. Ein großes Crossover. An der Kunsthochschule habe ich abstrakte Kunst und Illustration studiert; aber eben auch MAD-Magazine und die Zeichner der 1950er und 60er Jahre. Ich mochte das, seitdem ich sieben oder acht Jahre alt war und von meinem Vater die ersten Comics geschenkt bekam.

Was bedeutet es für dich heute, Teil dieser Generation zu sein?

In den letzten Jahren habe ich mit dem Zwiespalt gekämpft, sowohl aktiver Teilnehmer als auch Beobachter zu sein. Je älter du wirst, umso zufriedener bist du damit, Beobachter zu sein. Es gab Grass-Roots-Dinge, die ich gemacht habe, Projekte, die ehrgeizig und wild waren. Damals in New York haben wir einen Raum gemietet, alles in die Ecke geräumt, die Wände weiß angestrichen, Bilder aufgehangen und es Galerie genannt. Heute warte ich, dass die Galerien mich kontaktieren – es hat sich eine gewisse Passivität eingestellt. Andererseits ist das Alter nur eine Zahl; wichtiger ist es, wie du die Dinge betrachtest. Wir verändern uns ständig. Wir können zwar nicht immer neue Dinge mitteilen, aber wir können nach neuen Ansichten streben. Das ist für Künstler entscheidend, glaube ich.

Mich hat die Reaktion der französischen Illustratoren auf die schrecklichen Ereignisse bei Charlie Hebdo und im Bataclan sehr beeindruckt.

An dem Tag habe ich auch eine Antwort gezeichnet. Drew Barrymore hat mein Bild von einem weinenden Auge und einem Eiffelturm auf ihrem Instagram-Account geteilt. Wenn du ein Leben als Künstler führst, musst du der Gesellschaft, die dir eine prima Karriere erlaubt, etwas zurückgeben. Wenn wichtige Dinge in der Welt passieren, solltest du einen Kommentar geben, eine Antwort haben. Wenn solche Dinge geschehen, spüren die Menschen die Notwendigkeit von Kunst, weil wir eine visuelle Aussage darüber machen, wie sie sich fühlen. Auch zu Charlie Hebdo habe ich eine Zeichnung gemacht. Ich kannte die Zeichner nicht, aber wenn solche schrecklichen Ereignisse geschehen, willst du etwas sagen, etwas zeichnen.

Du hast so viel erreicht – was wirst du in den nächsten 20 Jahren machen?

Mehr Public Art. Vielleicht schreibe und illustriere ich ein weiteres Kinderbuch. Vielleicht mache ich noch mehr 3D-Objekte und reise mehr. Es gibt einen Film mit dem Titel The Namesake. Es ist ein wirklich schöner Film über eine indische Familie, die nach Amerika zieht, und ich identifiziere mich sehr mit dem Jungen. Sein Name ist Gogol und er ärgert sich über den Namen. Sein Vater sagt ihm: Ich habe dich nach dem russischen Schriftsteller genannt. In dem Film gibt es eine Szene, in der der Vater dem Sohn sagt: Wenn ich dir einen einzigen Ratschlag geben kann, dann diesen: Sag niemals nein, wenn du die Gelegenheit hast zu reisen. Tu es, denn du wirst es niemals bereuen. Reisen ist eine Lebenserfahrung, die dich immer bereichert. Schön, oder? Wenn du reist, bist du die reichste Person der Welt. Denn du machst Erfahrungen, erlebst Geschichten und gewinnst neue Perspektiven auf verschiedene Kulturen – und das hast du für immer.

Anmerkungen   [ + ]

1. Steven Heller, Einleitung zur Publikation “Mono Taxali” 2011, http://www.garytaxali.com/gary-taxali-reviver-of-dreams-by-steven-heller/
2. http://www.jitter-magazin.de/eiszeit-illustrationen-on-ice/
3. Die von Bill Shire 1986 eröffnete Galerie La Luz de Jésus gilt als Gründungsstätte von Low Brow Art und Pop-Surrealismus.