40 Jahre nach der legendären, gemeinsam mit dem MoMA in New York veranstalteten Ausstellung Drawing Now unternimmt die Albertina 2015 abermals den Versuch, eine Bestandsaufnahme dessen vorzunehmen, was Zeichnung heute bedeutet und bedeuten kann. Anhand von 36 ausgewählten internationalen Positionen präsentiert die Ausstellung relevante Strömungen der letzten zehn Jahre.

Monika Grzymala
Raumzeichnung xyz, 2011
ephemere Raumzeichnung aus 3,3 km schwarzem Klebeband
Installationsansicht Sumarria Lunn Gallery London, 2011 © Monika Grzymala
Längst hat die Zeichnung ihren angestammten Platz des Papiers verlassen. Ihre Linie breitet sich auf Wand und Decke aus, erstreckt sich in den Raum oder wird in Videoarbeiten animiert. Auch verfügt sie über völlig neue „Zeichenmittel“: vom Klebeband über Draht bis zu Transportgurten reichen die zum Einsatz kommenden Materialien. Dennoch leistet die Kunst der Zeichnung auch nach der Auflösung der Gattungsgrenzen immer noch Großartiges auf ihrem ursprünglichen Gebiet: der schnell hingeworfenen Skizze, dem Aquarell oder dem penibel ausgearbeiteten, bildhaften Werk.
Drawing Now: 2015 führt das breite Spektrum aktueller Tendenzen der Zeichenkunst vor Augen: von abstrakt bis gegenständlich, von kleinen bis hin zu monumentalen Formaten, von der Skizze über komplexe Notationen und detailgetreue Darstellungen bis zum vorab konzipierten Großprojekt reichen die in der Albertina ausgestellten Arbeiten. Inhaltlich widmen sich die Künstlerinnen und Künstler sowohl privaten Erlebnissen, die im spontanen Tagebucheintrag ihren Niederschlag finden, als auch schlichten Alltagsbeobachtungen, skurrilen Geschichten und politischen Ereignissen. Sie reflektieren in ihren Arbeiten das Medium der Zeichnung selbst als objektivierten Prozess oder unter dem Aspekt der zeitintensiven Herstellung. Die Kunstschaffenden untersuchen die Produktionsbedingungen und -möglichkeiten von Zeichnung, und thematisieren darüber hinaus die angeeignete Zeichnung sowie die Zeichnung als performativen oder kollaborativen Akt. Einige Werke sind eigens für die Ausstellung entstanden, für andere arbeiten die Künstlerinnen und Künstler raumbezogen vor Ort. So werden Constantin Luser und Dan Perjovschi Wandzeichnungen anfertigen, Lotte Lyon reagiert mit einer aufwändigen Deckenarbeit zeichnerisch auf die räumlichen Gegebenheiten, Monika Grzymala hat für Drawing Now: 2015 eine ihrer spektakulären Raumzeichnungen entworfen. Nikolaus Gansterer wird während der Ausstellungsdauer zu zwei Terminen eine neu entwickelte Zeichnungsperformance präsentieren.
Auch das Albertinapalais wird zu einem dreidimensionalen drawing board, einer großformatigen Zeichnung: Der Künstler Rainer Prohaska spannt orange Gurte rund um den architektonischen Komplex der Albertina und verbindet die einzelnen Bauelemente grafisch miteinander. Diese Intervention verdeutlicht die Erweiterung des Zeichnungsbegriffs besonders eindringlich: Prohaskas Arbeit Drawing an Orange Line zeigt, dass sich Zeichnung nicht mehr auf Papier beschränkt, sondern Wand und Raum, Architektur und Stadtbild erobert.
Drawing Now: 2015 knüpft an eine Ausstellung an, die bereits 1977 in Kooperation mit dem MoMa New York in der Albertina zu sehen war. Drawing now-Zeichnung heute ermöglichte damals aus amerikanischer Sicht einen Überblick zur zeitgenössischen Zeichnung und deren relevanten Strömungen. Die aktuelle Schau verfolgt ein ähnliches Anliegen und stellt Akteurinnen und Akteure vor, die die Zeichnung in den letzten zehn Jahren besonders geprägt haben, und in deren Gesamtwerk die Zeichnung einen zentralen Stellenwert einnimmt. Der Fokus liegt auf den Jahrgängen der 1960er und 1970er Jahre, doch auch Künstlerinnen und Künstler, die erst in den letzten Jahren eine neue zeichnerische Richtung eingeschlagen haben, finden in der Ausstellung Berücksichtigung.
Drawing Now: 2015 ist eine Ausstellung, die nicht nur einer der Kernkompetenzen der Albertina entspricht. Sie fordert diese Kernkompetenz auch heraus und wird dergestalt zum Auftrag für das Museum, niemals zu erstarren, immer offen zu bleiben für Experimentelles und jenes Abenteuer, das allein aus der Entdeckung des Unbekannten, des Noch-nie-Gesehenen resultiert.
Die Albertina plant, Drawing Now in unregelmäßigen Abständen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen als Reihe fortzusetzen.
Beteiligte Künstlerinnen und Künstler:
Tomma Abts, Silvia Bächli, Anna Barriball, Marc Bauer, Michael Borremans, Andrea Bowers, Olga Chernysheva, Amy Cutler, Tacita Dean, Sonja Gangl, Nikolaus Gansterer, Monika Grzymala, Toba Khedoori, Los Carpinteros, Constantin Luser, Lotte Lyon, Julie Mehretu, Aleksandra Mir, Muntean/Rosenblum, Paul Noble, Jockum Nordström, Micha Payer + Martin Gabriel, Fritz Panzer, Dan Perjovschi, Chloe Piene, Rainer Prohaska, Robin Rhode, Mithu Sen, David Shrigley, Paul Sietsema, Tatiana Trouve, lgnacio Uriarte, Marcel van Eeden, Erik van Lieshout, Sandra Vasquez de la Horra, Jorinde Voigt
Kuratorin: Elsy Lahner
www.albertina.at