Der österreichische Grafiker Alfred Kubin (1877–1959) erschuf zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine fantastische und mythische Bildwelt: Die Zeichnungen und Illustrationen seines Frühwerks zeigen unwirkliche Traumszenen, in denen neben Menschen, Kriegern und Königen auch Fabelwesen, Drachen und Dämonen die Akteure sind.
In seinem einzigen Roman Die andere Seite von 1909, der der Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein ihren Titel verleiht, beschrieb Kubin ein fernes Land der Träume, einen fremden Ort, der frei von allen Regeln und Grenzen ist und an dem kein Wunsch unerfüllt bleiben soll. Als Illusion entpuppt, löst sich diese Vision jedoch in einer Katastrophe auf; der einstige Traum des Protagonisten schlägt in einen Albtraum um.
Die Vertreter des Surrealismus, zu deren Vorläufern der junge Alfred Kubin gezählt werden kann, verstanden sich als Verfechter eines ›psychischen Automatismus‹, der dem Primat des rationalen Denken das freie und assoziative Spiel der Gedanken entgegensetzt. Die Entfesselung der metaphorischen Fähigkeiten des Geistes und die gezielte Förderung assoziativer Ausdrucksformen sollte das Bewusstsein erweitern und die Erkenntnis einer höheren Wirklichkeit – eines Sur-Realismus – bringen. Beeinflusst durch Sigmund Freuds Untersuchungen zur menschlichen Psyche, betonten die Surrealisten die Bedeutung von Träumen, Phantasien und unterdrückten Gefühlswelten.
Ausgehend von Kubins Frühwerk, welches seinen Roman einschließt, beschäftigt sich die Ausstellung Die andere Seite – Erzählungen des Unbewussten vom 25. Mai bis zum 13. August 2017 mit der anderen Seite unseres Bewusstseins, und stellt dem Zeichner des Abgründigen herausragende Positionen der zeitgenössischen Kunst gegenüber. Angeleitet von der Frage nach dem Fortleben surrealistischer und phantastischer Ansätze in der internationalen Gegenwartskunst, aktualisiert die Ausstellung den surrealistischen Aufruf zum Eintauchen in die Erzählungen des eigenen Unbewussten.
Dem Zusammenspiel von Traum und Psyche, aber auch dem Phantastischen, dem Grotesken, Tragischen und Magischen kommt somit im Ausstellungparcours eine tragende Rolle zu. Arbeiten von Thomas Feuerstein, Dorota Jurczak, Henrique Oliveira, Hans Op de Beeck, Daniel Roth, Markus Schinwald, Chiharu Shiota und Stéphane Thidet fügen sich im Ausstellungsraum des Museums als wundersames Zauberland phantastischer Erzählungen zusammen und schlagen spielend Zeitsprünge zwischen den Bildwelten Kubins und der Gegenwart. Hierbei reiht sich räumlich eine Narration an die Nächste. Grafiken Alfred Kubins sind als zentrales Moment zugleich Auftakt und Möglichkeit eines ständigen Rückbezugs in der Ausstellung.
Kuratoren: Jana Franze, Julia Nebenführ, René Zechlin
Ein Katalog zur Ausstellung erscheint im Verlag Kettler Ende Juni 2017 mit Textbeiträgen von Jan Niklas Howe, Jana Franze, Julia Nebenführ und René Zechlin.
Highlights aus dem Begleitprogramm zur Ausstellung
Filmabend: Mittwoch, 07. Juni 2017, 18 Uhr
Traumstadt. Verfilmung des Romans Die andere Seite von Johannes Schaaf, 1973, 124 Minuten. Eine Veranstaltung des Förderkreises des Wilhelm-Hack-Museums
Kosten: Förderkreismitglieder 8 Euro, Nichtmitglieder 10 Euro
Philosophisches Café: Samstag, 01. Juli 2017, 16 Uhr
Phantasie oder Wahn – Wo sind die Grenzen? Diskutieren Sie mit Direktor René Zechlin und seinen Gästen: Dr. med.Jochen Gehrmann, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie und PD Dr. phil. Thomas Röske, Direktor der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
Eintritt frei
Lesung mit Walter Sittler: Samstag, 15. Juli 2017, 18 Uhr
Der Schauspieler Walter Sittler liest aus dem Roman Die andere Seite (1909) von Alfred Kubin
Hinweis: Kooperation des Wilhelm-Hack-Museums mit der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg Besucher der Ausstellung Die andere Seite – Erzählungen des Unbewussten erhalten bei Vorlage der Eintrittkarte ermäßigten Eintritt in der Ausstellung Alfred Kubin und die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg und umgekehrt. www.sammlung-prinzhorn.de
- Wilhelm-Hack-Museum
Berliner Straße 23, 67059 Ludwigshafen am Rhein - Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr von 11:00–18:00 Uhr, Do von 11:00–20:00 Uhr, Sa, So von 10:00–18:00 Uhr
- www.wilhelmhack.museum