Affekt und Bewegung in der italienischen Grafik des 16. Jahrhunderts

Marco Dente, Faustkampf zwischen Entellus und Dares (nach Raffael), um 1520/25Kupferstich, 40,8 x 30,9 cm (beschnitten), Foto: Karen Blindow.
Die Ausstellung Den Teufel im Leib – Affekt und Bewegung in der italienischen Grafik des 16. Jahrhunderts, die vom 27. August bis zum 23. November 2014 im Alten Studiensaal des Kupferstichkabinetts zu sehen ist, präsentiert knapp 50 grafische Arbeiten von italienischen Künstlern der Renaissance und gewährt damit einen Einblick in den bedeutenden, aber bisher kaum erforschten Bestand italienischer Renaissancegrafik im Bremer Kupferstichkabinett. Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen berühmter Künstler dienten als Vorlagen der gezeigten Blätter, die sich alle durch mitreißende Affekt- und Bewegungsdarstellungen auszeichnen. Einige Exponate entwickeln enorme Plastizität, als wären die Figuren in der Lage, aus dem Bildraum auszubrechen.
Eine Furie brüllt so laut, dass es in den Ohren dröhnt; nackte Männer werfen sich ins Kampfgetümmel; der mit Dämonen ringende heilige Antonius droht aus dem Bild zu stürzen, während Christus wie ein fliegender Held zur Rettung eilt – jede nur denkbare Form der seelischen und körperlichen Bewegung wurde durch die italienische Grafik des 16. Jahrhunderts aufs Papier gebannt. Mit Beobachtungsgabe und technischem Geschick hauchten die Grafiker ihren Figuren Leben und Leidenschaften ein. Einerseits strebten sie nach würdevollen Haltungen und gemäßigter Emotionalität, andererseits steigerten sie die Affekte und Körperbewegungen ins Fantastische und erfüllten ihr Publikum mit freudigem Entsetzen – vergleichbar mit den Gefühlen, die wir heute bei manch einer Kinovorstellung durchleben.
Im 16. Jahrhundert wurde die Darstellung von Bewegung zu einem Schönheitsideal an sich – Figuren sollten rastlos wie züngelnde Herdflammen sein oder sich wie Schlangen winden. Dieses als figura serpentinata bekannte Prinzip realisierte beispielsweise der Holzschneider Andrea Andreani in seinen Blättern mit dem Raub der Sabinerinnen von 1584: Wie bei der gleichnamigen Marmorskulptur von Giambologna in Florenz schraubt sich eine menschliche Spirale aus drei in sich gedrehten Figuren dynamisch in den Himmel, sodass die Komposition niemals stillzustehen scheint. Generell orientierten sich die italienischen Grafiker an den herausragenden Malern und Bildhauern ihrer Zeit, darunter Raffael, Michelangelo, Baccio Bandinelli und Tintoretto. Ihre Stiche und Holzschnitte zitieren häufig Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen und antike Kunstwerke, wie beispielsweise den Diskuswerfer oder den Anfang des 16. Jahrhunderts in Rom entdeckten Laokoon. In der Renaissance galten diese Skulpturen als Idealbeispiele körperlicher und seelischer Animation. Darüber hinaus entwickelten die Grafiker virtuose Techniken, um die malerischen Effekte und die Tiefenräumlichkeit ihrer Vorlagen einzufangen. Die Ausstellung Den Teufel im Leib – Affekt und Bewegung in der italienischen Grafik des 16. Jahrhunderts vereint insgesamt 49 Exponate von 29 Künstlern aus Hochrenaissance, Manierismus und einsetzendem Barock. Gezeigt werden Kupferstiche von teilweise skulpturaler Plastizität, Radierungen, die sich in ihrer freieren Ausführung der Handzeichnung annähern, und Chiaroscuro-Holzschnitte von expressiver Mehrfarbigkeit.
Künstler in der Ausstellung:
Cherubino Alberti, Andrea Andreani, Sisto Badalocchio, Federico Barocci, Nicolas Beatrizet,
Jacob Binck, Niccolò Boldrini, Domenico Campagnola, Jacopo Caraglio, Ugo da Carpi,
Agostino Carracci, Bartolomeo Coriolano, Marco Dente, Giorgio Ghisi, Marius Kartarus,
Giovanni Pietro Possenti / Monogrammist GpP, Marcantonio Raimondi, Martino Rota, Adamo
Scultori, Giovanni Battista Scultori, Domenico Tibaldi, Agostino Veneziano, Giuseppe Niccolò
Vicentino, Enea Vico, Francesco Villamena sowie anonyme mantuanische, römische und
bolognesische Kupferstecher aus dem Umfeld von Andrea Mantegna, Antonio Salamanca und
Agostino Carracci.
- Andrea Andreani, Raub der Sabinerinnen (nach Giambologna), 1584, Chiaroscuro-Holzschnitt in drei Platten, 44,9 x 20,3 cm (beschnitten), Foto: Karen Blindow.
- Anonymer Bologneser oder Römischer Kupferstecher, Schreihals (nach Agostino Carracci), Anfang 17. Jahrhundert, Kupferstich, 17,8 x 12,7 cm (Papier), 16,7 x 11,6 cm (Platte), Foto: Karen Blindow.
- Agostino Carracci, Versuchung des heiligen Antonius (nach Tintoretto), 1582, 50,5 x 32,7 cm (beschnitten), Foto: Karen Blindow.
italienischen Grafik des 16. Jahrhunderts (Kataloge des Kupferstichkabinetts, Bd. 6, ca. 80
Seiten, zahlreiche Abb., ca. € 12,–). Veranstaltungen (jeweils mit dem Kurator der Ausstellung, Dr. des. Kai Hohenfeld): 14. August 2014, 13 Uhr, Kunstpause: Agostino Carracci, Die Versuchung des heiligen
Antonius (nach Tintoretto), 1582, Kupferstich 9. September 2014, 18 Uhr, Kunsthappen: Laokoon kämpft mit den Schlangen – Kupferstiche
und Holzschnitte von Marco Dente, Nicolas Beatrizet, Niccolò Boldrini und Sisto Badalocchio
21. September 2014, 15 Uhr, Kuratorenführung
23. September 2014, 19 Uhr, DIE JUNGEN
30. September 2014, 18 Uhr, Vortrag: „Ein Magnet für die Augen“ – Die Faszination für
Bewegungsmotive in der italienischen Grafik des 16. Jahrhunderts