Chiharu Shiota (*1972 in Osaka) hatte nach ihrem Studium der Malerei in Japan und Australien begonnen, als Performance-Künstlerin zu arbeiten. 1994 entwickelte sie eine Performance, in der sie den eigenen Körper erstmals zum Thema ihrer Arbeit machte, indem sie ihn – eingehüllt in weiße Laken – zur Malfläche erweiterte, so dass Wand und Körper ineinander überzugehen schienen. In diesem Werk mit dem Titel »Becoming Painting« („zur Malerei werden“) formuliert Shiota bereits ihr besonderes Interesse an der Beschäftigung mit Fragen der Autorschaft und Subjektivität: Welche Rolle spielt der Körper der Künstlerin als künstlerisches Material? Welche Verbindung besteht zwischen dem geschaffenen künstlerischen Objekt und dem Körper der Künstlerin, der es hervorgebracht hat?
Diese Verknüpfung spielt in Shiotas Werk bis heute eine tragende Rolle und jede ihrer Rauminstallationen basiert auf einem Prozess, in dem sie entweder selbst als Performerin auftritt oder Objekte, wie Kleider, Schuhe, Betten u.a. einbezieht, die transformiert werden und für den Körper selbst stehen. Diese Auseinandersetzung zeigt sich am unmittelbarsten in Form ihrer Fadeninstallationen, in welche die Künstlerin Körper und Objekte einbindet und zueinander in Beziehung setzt.
Auch Shiotas aktuelle Ausstellung »Seven Dresses«, die sie speziell für die Stadtgalerie Saarbrücken entwickelt hat, knüpft an diese Konzeption an. Hier finden die Besucher sich zunächst in tunnelartigen Gängen wieder, die sich über beide Geschosse erstrecken. An ihrem Ende eröffnet sich der Blick auf sieben Kleider, die inmitten des Gewebes geisterhaft im Raum schweben. Es sind weiße Baumwollkleider unterschiedlicher Größe, denen etwas Steifes, Skulpturales anhaftet – wie Gipsabdrücke von Körpern, die abhanden gekommen sind.
Die physische Präsenz des Kleides setzt Shiota bereits Ende der 90er Jahre stellvertretend für den Körper ein. In ihrer frühen Installation After that (Weimar 1999) hatte Shiota diese Aspekte bereits erstmals vermittelt. Sie bestand aus einem selbst genähten sieben Meter langen, schlammbedeckten Mädchenkleid, das vor einer Wand unter einem Duschkopf installiert war, aus dem ununterbrochen Wasser floss. Die Körperlichkeit des Kleides wurde durch seine wasserdurchtränkte, hautartige Oberfläche und bräunliche Farbigkeit betont. Das Kleid wurde zur zweiten Haut. In einer weiteren, mehrteiligen Version dieser Installation mit dem Titel Memory of Skin (2001) machte Shiota diese Assoziationen noch stärker transparent.(1)
Später sind es überlange Mädchen- und Frauenkleider, die wie geisterhafte Gestalten inmitten der Fadeninstallationen auftauchen. Sie stehen sinnbildlich für die Abwesenheit des Körpers und damit letztlich auch für eine Präsenz der Künstlerin, die immer nur flüchtig sein kann. Was bleibt, sind Spuren im Raum, Gespinste, in denen sich unsere Geschichte, unsere Träume und Erinnerungen verfangen haben. Es sind Fäden, die den Raum durchziehen und die zugleich Körper, Kleider und andere Objekte durchdringen.
Und auch in Zeichnungen und Malereien, die denen die Künstlerin ihre Motive in sehr intensiven, intimen Formaten vergegenwärtigt, erscheinen Fäden und Gespinste. Hier allerdings sind es rote Linien, wie Blutgefäße, die den Körper umgeben, ihn mit dem Raum verbinden.
In ihrer Videoarbeit Wall (2010) schließlich, steht erneut der Körper der Künstlerin im Mittelpunkt: nackt auf dem Boden liegend erscheint sie von dünnen Schläuchen eingehüllt – Blutbahnen, in denen eine rote Flüssigkeit pulsiert, die aus ihrem Körper dringt und in diesen zurückfließt. Die Grenzen zwischen innen und außen scheinen durchlässig geworden, der Blutkreislauf, der den Körper mit Sauerstoff versorgt und am Leben erhält, pulsiert nicht länger im Verborgenen, sondern unter unseren Augen.
Text: Andrea Jahn
1 „The dress for me is like a second skin. The body connects to our first skin. The second skin is the clothes. Sometimes clothes explain the owner, and there are a lot of memories inside a dress. I never use a new dress. For me, with a new dress, I cannot start anything, and I am not interested in using a new dress because there are no memories or stories inside it.” Putnam, James & Shiota, Chiharu. “A Conversation”, in: Chiharu Shiota – Memory of Book (Gervasuti Foundation / Venedig 2011), S. 215, 217.