Die Gruppenausstellung Capitalist Melancholia in HALLE 14–Zentrum für zeitgenössische Kunst beleuchtet in zehn künstlerischen Positionen und einer Symposium-Performance die gegenwärtige soziale, ökonomische und technologische Beschleunigung und Erschöpfung und fragt nach der Melancholie des 21. Jahrhunderts.
Das aktuelle Ausmaß individueller und kollektiver, ideeller, ökologischer und ökonomischer Erschöpfung und Verausgabung begründet eine besondere Form der Melancholie des 21. Jahrhunderts. Sie ist das Resultat der Unfähigkeit, zwischen Wirtschaft und Politik unterscheiden zu können. Die Beseitigung der öffentlichen Sphäre, die Deregulierung der Märkte und tiefe Einschnitte ins Sozialsystem gelten seit Jahrzehnten als ökonomische Allheilmittel. Dieser Deregulierung der Märkte entspricht die Deregulierung des Lebens. Eine leerlaufende Ökonomie des Begehrens treibt die Erschöpfung des Lebens und die Vergeudung der Ressourcen voran. Die Ausbeutung der Erde, die Erwärmung der Atmosphäre, die Überbevölkerung und die unübersehbaren Folgen der »Neuen Weltunordnung« wie Hunger, Armut, Flüchtlingswellen, Bürgerkriege, Terror scheinen unaufhaltbar. Angesichts einer hyperventilierenden Gegenwart ist die gestaltbare Zukunft, die Möglichkeit zur Geschichte undenkbar geworden.
Für Sigmund Freud ist die »tiefe schmerzliche Verstimmung«der Melancholie geprägt durch »eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt« und den »Verlust der Liebesfähigkeit«. In der Romantik galt der nachdenkliche Schwermut und der schwärmerische Idealismus der Melancholiker noch als göttlicher Wahnsinn der schöpferisch Tätigen.
Künstler:
Gregory Barsamian, Stefan Brüggemann, Anetta Mona Chisa & Lucia Tkacova, CHTO, Jeannette Ehlers, Famed, Rumiko Hagiwara, David Maisel, Álvaro Martínez Alonso, Guido van der Werve.
Die Kunstwerke der Ausstellung und die Symposium-Performance A Government of Times des Kuratorenkollektivs Le peuple qui manque am 28. Mai 2016 laden zum Innehalten, Neuverorten und Überdenken ein und stellen Fragen nach politischer Fantasie und einer anderen Form der Beschleunigung – einem navigatorisch-experimentellen Prozess der Entdeckung eines universellen Raums von Möglichkeiten.
Kuratiert von Michael Arzt, François Cusset, Camille de Toledo.
28. Mai 2016, 13 Uhr | Symposium-Performance:
A Government of Times von le peuple qui manque (Aliocha Imhoff & Kantuta Quiros)
Referenten: François Cusset (Philosoph, Paris), François Hartog (Historiker, Paris), Maurizio Lazzarato (Philosoph, Paris), Marielle Macé (Literaturwissenschaftlerin, Paris), Benjamin Noys (Schriftsteller, Chichester), Lionel Ruffel (Philosoph, Berlin), Camille de Toledo (Schriftsteller & Künstler, Paris/Berlin), Tiphaine Samoyault (Literaturwissenschaftler, Paris)
Laut einer These des französischen Historikers François Hartog trat unsere Gesellschaft nach 1989 in eine neue Ordnung der Geschichtlichkeit ein, den Präsentismus. In ihm ist die Gegenwart omnipräsent geworden und dominiert auch Vergangenheit und Zukunft. Das zeigt sich darin, dass die Gegenwart als Beschleunigung aller sozialen Bereiche und die Zukunft als Bedrohung, statt als Versprechen empfunden wird. Als Kulminationspunkt des Ausstellungsprojektes Capitalist Melancholia fragt die Symposium-Performance, kuratiert vom französischen Kuratorenkollektiv le peuple qui manque (Aliocha Imhoff & Kantuta Quirós), mit Historikern, Philosophen und Literaturwissenschaftlern nach einer vielschichtigen Zeitpolitik nach dem Motto: Presentism don’t satisfy us, go back to modernism either, let’s invent a new one!
- HALLE 14–Zentrum für zeitgenössische Kunst
Leipziger Baumwollspinnerei, Spinnereistr. 7, - Öffnungszeiten: Di–So, 11 bis 18 Uhr
Eintritt:4 € / 2 € (Mittwoch: freier Eintritt) - www.halle14.org