Buch – Kunst – Objekt.
Sammlung Lucius

Die Sammlung von Künstlerbüchern des Stuttgarter Ehepaares Wulf D. und Akka von Lucius gilt mit über 600 Exemplaren deutschlandweit als einer der reichsten Bestände dieses Genres. Anhand einer Auswahl von 58 Exponaten stellt die Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart dar, wie im Künstlerbuch literarische, bildkünstlerische und handwerkliche Aspekte untrennbar miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen.

Da es sich um eine Gattung handelt, die zwischen Kunst und Literatur angesiedelt ist, fallen Künstlerbücher häufig durch das Raster der Sammlungsaufträge von öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven – als Kunstobjekte gehören sie ins Museum, als publizierter Buchtitel in eine Bibliothek. Nicht genug zu würdigen ist deshalb das Engagement, das private Sammler dem Künstlerbuch zukommen lassen. Die Ausstellung Buch – Kunst – Objekt. Sammlung Lucius ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Sammlerehepaar und dem Kunstmuseum Stuttgart. Hinter der Kooperation steht das Ziel, das wenig beachtete Medium Künstlerbuch in seiner ganzen Bandbreite darzustellen, um es so dauerhaft im Bereich der Bildenden Kunst als eigenständige, individuelle Gattung zu implementieren.

Wulf D. von Lucius (*1938) und Akka von Lucius (*1939) begannen im Jahr ihrer Eheschließung 1967 mit dem Aufbau einer Büchersammlung. Zunächst galt ihr Interesse vornehmlich der Literatur und Buchkunst des späten 18. Jahrhunderts. Über das Sammeln von Pressendrucken aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und Art Déco-Büchern gelangten sie um 1980 zum Künstlerbuch. Neben den gängigen Quellen wie Auktionen und Antiquariatsmessen erschlossen sie sich schrittweise Zugang zu zeitgenössischen Kreisen auf diesem Gebiet und kamen in Kontakt mit spezialisierten Händlern sowie Buchkünstlern aus vornehmlich Frankreich, England und den USA.

Mit dem Künstlerbuch steht ein Buchtyp im Mittelpunkt der Ausstellung, der nicht unter den geläufigen formalen Gesichtspunkten des Buches, sondern als genuines Kunstwerk zu betrachten ist. An seinem Zustandekommen wirken maßgeblich Künstler oder Künstlerkollektive mit, die freien künstlerischen Ausdruck mit den Eigenheiten des Buches kombinieren. Im Künstlerbuch vereinen sich nicht nur bildnerische und poetische Mittel, sondern es besitzt zugleich ein hohes selbstreflexives Potential der eigenen buchmedialen Charakteristika, und deren Möglichkeiten.

Durch Begrifflichkeiten oder Klassifizierungen lassen sie sich kaum zufriedenstellend erfassen, denn Künstlerbücher haben vor allem eines gemeinsam: Sie können sehr unterschiedlich ausfallen. Manche Künstlerbücher erweitern sich zum dreidimensionalen Objekt hin, andere wiederum zelebrieren die handwerklich-gestalterische Ausführung und richten das Verhältnis von Inhalt und Form völlig neu aus. Es gibt Künstlerbücher, die nur Bilder enthalten und gänzlich ohne Text auskommen, nicht mehr aus Papier oder Pergament gefertigt sind, sondern aus Glas, Plastikfolie oder Metall. Manche Künstlerbücher sind klein und dreieckig, fragil und zurückgenommen, andere opulent und sperrig, haben weder Anfang noch Ende. Der Kombination aus Text, Typografie, Grafik und Material zu einem vielfältigen ästhetischen Arrangement sind keine Grenzen gesetzt.

Das Künstlerbuch ist insbesondere ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, auch wenn Vorläufer bereits in den Epochen Barock und Romantik auszumachen sind. Um 1900 entsteht von Frankreich ausgehend das Genre der Malerbücher, die auch »livres d’artistes« oder »livres de peintre« genannt werden. Von da an haben sich Produktion und Vielfalt stetig gesteigert. In den 1960er-Jahren gewinnt das Künstlerbuch im Kontext von Fluxus und Concept Art an Bedeutung: Das Buch wird zum Experiment, zum partizipativen Ereignis, zum Instrument, zur Manifestation künstlerischen Ausdrucks. Und noch heute handelt es sich beim Künstlerbuch um ein Medium, das Künstlerinnen und Künstler zu Innovationen herausfordert.

Buch – Kunst – Objekt. Sammlung Lucius eröffnet ein breites Spektrum an gattungsspezifischen Spielformen künstlerischer Buchgestaltung, gleichsam eine Mustersammlung, an der sich die unerschöpfliche Vielfalt der materiell-sinnlichen Erscheinungsformen der Gattung anhand von hervorragenden und exemplarischen Beispielen ablesen lässt. In der Auswahl werden die wichtigsten Epochen und Stilbewegungen des 20. Jahrhunderts abgedeckt, mit einem speziellen Augenmerk auf die französische Avantgarde und die deutsche zeitgenössische Buchkunst. Zu sehen sind Vertreter der École de Paris, der Neuen Figuration, des Informel und der amerikanischen Pop Art.

Künstler: Gerhard Altenbourg, Horst Antes, Willi Baumeister, Hans Bellmer, Les Bicknell, Georges Braque, James Brown, Wolfgang Buchta, Alexander Calder, Eduardo Chillida, Sonia Delaunay, Jim Dine, Piero Dorazio, Sam Francis, Rupprecht Geiger, HAP Grieshaber, David Hockney, Gerhard Hoehme, Ilya Zdanevitch (Iliazd), Jörg Immendorff, Karin Innerling, Jasper Johns, Gunnar A. Kaldewey, Arthur Köpcke, Mischa Kuball, François Lafranca, Bun-Ching Lam, Clemens Tobias Lange, Henri Laurens, Fernand Léger, Helge Leiberg, Richard Long, Heinz Mack, Georges Mathieu, Henri Matisse, Joan Miró, Joan Mitchell, Thomas Offhaus, Meret Oppenheim, Blinky Palermo, Jürgen Partenheimer, A. R. Penck, Pablo Picasso, Otto Piene, Serge Poliakoff, Walter Stöhrer, Jun Suzuki, Antoni Tàpies, Hann Trier, Raoul Ubac, Günther Uecker, Wolf Vostell, Andy Warhol, Uwe Warnke

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