Berlinde De Bruyckere wurde durch zahlreiche Ausstellungen u. a. in Montreal, Melbourne, Istanbul, Bern, Graz und Gent bekannt. 2013 bespielte die 1964 in Gent geborene Künstlerin den belgischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Bei ihren Skulpturen arbeitet sie mit Abgüssen aus Wachs und Kunstharz, Tierfellen, Metall, Holz und Stoffen. Ihre Werke eröffnen vielschichtige Bezüge zu kunsthistorischen Traditionen der Malerei und Plastik. Christliche und mythologische Themen, aber auch das Pferd als Opfer auf den Schlachtfeldern Flanderns oder abgestorbene Bäume geben Zeugnis vom Wachsen und Vergehen. The Embalmer ist in Kooperation mit dem Kunstraum Dornbirn als eine Ausstellung an zwei Orten konzipiert. Zeitgleich mit der Präsentation im Kunsthaus Bregenz wird in der Montagehalle des Kunstraum Dornbirn eine groß angelegte Installation mit neu geschaffenen Pferde-Skulpturen von Berlinde De Bruyckere gezeigt.
Im Kunsthaus Bregenz werden auf drei Stockwerken Skulpturen, Installationen sowie Zeichnungen und Collagen vereint. Beide Präsentationen gemeinsam bieten einen faszinierenden Überblick über das außergewöhnliche Schaffen der belgischen Künstlerin. Im 1. OG des Kunsthaus Bregenz ergänzen und verstärken sich Skulpturen aus der Reihe Liggende und Actaeon sowie Zeichnungen der Serie Romeu ‘my deer’ in ihrer gemeinsamen Aussage. Sie kreisen um die Themen der Metamorphose von Mensch und Tier sowie Leben und Tod. Nach der griechischen Mythologie beobachtete Aktaion die Göttin Diana beim Bad. Zur Strafe verwandelte Diana ihn in einen Hirsch, der schließlich von Aktaions eigenen Hunden zerrissen wird. Mit dem Tänzer Romeu Runa entwickelte De Bruyckere dazu Zeichnungen und eine Tanz-Performance, die im Kunsthaus Bregenz aufgeführt wird. In Actaeon liegen wächserne, zu Haufen gebündelte Geweihe auf hölzernen Podesten. Auf ähnlichen Holzpodesten ruhen die menschlichen Körpern nachempfundenen Skulpturen Liggende I und Liggende II. Sie erinnern an Tische aus der Pathologie, die Skulpturen an Opfer oder an den vom Kreuz abgenommenen Leib Christi.
Das 2. OG bestimmt mit 18 Metern Länge das raumgreifendeWerk Kreupelhout|Krüppelholz, erstmals präsentiert im belgischen Pavillon der Biennale di Venezia 2013. Inspiriert von der während eines Sturms gestürzten Krone einer mächtigen Ulme schuf die Künstlerin eine monumentale Skulptur, deren farbige Oberflächenstruktur dem zerborstenen Baum eine menschliche Verletzlichkeit verleiht. Wunden, Narben und unter der Rinde durchscheinende Adern lassen den Baum zu einem Wesen zwischen Mensch, Tier und Pflanze werden.
Für das 3. OG erarbeitet die Künstlerin eine völlig neue Werkgruppe mit übereinandergestapelten Tierhäuten aus Wachs, Polyester und Eisen. Diesem Werk gingen intensive Beobachtungen der Künstlerin in der Tierhautverarbeitung des Brüsseler Schlachthofs voraus. Aus dem gleichen Formenrepertoire entwickelt De Bruyckere gleichzeitig für die Oper La Monnaie in Brüssel das Bühnenbild für die Uraufführung des Stücks Penthesilea nach Heinrich von Kleist, in einer Komposition von Pascal Dusapin.
Die historische Montagehalle des Kunstraum Dornbirn bildet Rahmen und Bühne für neu geschaffene, erstmals gezeigte Werke aus der bedeutenden Serie der Pferde-Objekte. Schockiert und zugleich inspiriert von Bildern gequälter und verendeter Pferde auf den Schlachtfeldern ihrer Heimat Flandern im Ersten Weltkrieg, beschäftigte sich Berlinde De Bruyckere mehr als zehn Jahre lang mit dem Pferdekörper als Sinnbild und Projektionsfläche ihrer Auseinandersetzung mit Leid, Schmerz und Vergänglichkeit. Lebensgroß an brachialen Eisengestellen hängend, vermitteln die offensichtlich malträtierten Pferde-Objekte einerseits den Schrecken und das Leid des Krieges, andererseits findet sich der Betrachter mit dem eigenen Schmerz, dem eigenen Leid konfrontiert und zur Auseinandersetzung aufgefordert.
Aus Pferdehäuten, Wachs, Textilien und Metall formt Berlinde De Bruyckere die Körper der Tiere. Der Einsatz echten Pferdefells verstärkt dramatisch die Authentizität des leblosen Geschöpfs. Die Köpfe der Tiere sind dabei lediglich ausgeformt, weisen aber keine identifizierbaren Züge und Eigenschaften, weder Augen noch Nüstern auf. Sie stehen für das universelle Leid. Trotz der Grausamkeit der Objekte überwältigen sie durch ihre Farb- und Materialästhetik und die detailreiche Zeichnung, die das unmittelbare Grauen ausbalancieren.
Ergänzt wird die Gruppe der Pferde-Objekte im Kunstraum Dornbirn durch installativ angeordnete Eisengestelle. Die massiven, mit Gebrauchsspuren versehenen Objekte stehen gewissermaßen stellvertretend für das namenlose Leid, das wir noch nicht kennen, nicht sehen können und vielleicht auch nicht sehen wollen. In ihrer Gesamtheit vermittelt die Installation den Eindruck eines dreidimensionalen Stilllebens der Vergänglichkeit in der Tradition der niederländischen Malerei des Barock. Die Visualisierung purer Ästhetik bei gleichzeitigem Transfer beängstigender Botschaften erreicht im Werk von Berlinde De Bruyckere eine Eindrücklichkeit, der man sich nicht entziehen kann.
Für die KUB Billboards inszeniert Berlinde De Bruyckere gemeinsam mit ihrer langjährigen Fotografin Mirjam Devriendt sechs ihrer wichtigsten Arbeiten. Die Bilder sind auch in der Ausstellung The Embalmer im Kunsthaus Bregenz zu sehen. Details von Schlüsselwerken wie Liggende I, 2011—2012 , oder Kreupelhout/Krüppelholz, 2012—2013, transportieren die Schau vom geschützten Raum des Kunsthaus Bregenz in den Außenraum der viel befahrenen Seestraße.
Das Katalogbuch begleitet die Ausstellung The Embalmer, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Kunsthaus Bregenz und im Kunstraum Dornbirn gezeigt wird. Thomas Häusle, Kurator des Kunstraum Dornbirn, geht insbesondere auf die dort präsentierten Pferde-Objekte ein. Die Installation zeigt Berlinde De Bruyckeres eindrücklich umgesetzte Auseinandersetzung mit Tod und Zerstörung sowie der erhabenen Würde und Schönheit der Kreatur. Vor dem Hintergrund der im Kunsthaus Bregenz ausgestellten Hauptwerke Kreupelhout/Krüppelholz und Aktaion erläutert Kurator Rudolf Sagmeister die Position der belgischen Künstlerin innerhalb der Kunstgeschichte, ihre Nähe zu Motiven der christlichen Ikonografie und der niederländischen Barockmalerei.
Zudem werden in diesem Katalogbuch gemeinsam mit der Künstlerin ausgewählte Texte sowie Briefe De Bruyckeres selbst erstmals veröffentlicht, die sich über ihre Hauptwerke hinaus mit dem ihr Schaffen grundlegend inspirierenden Motiv der Metamorphose beschäftigen. Beide Ausstellungsstandorte werden in zahlreichen Installationsansichten umfassend dokumentiert.
Berlinde De Bruyckere, The EmbalmerHerausgegeben von Kunsthaus Bregenz und Kunstraum Dornbirn;
Mit Beiträgen von J. M. Coetzee, Berlinde De Bruyckere,
Benjamin Delmotte, Caroline Lamarche, Thomas Häusle,
Herta Pümpel und Rudolf Sagmeister
Grafik: Stefan Gassner/Bernd Altenried
Deutsch|Englisch, ca. 160 Seiten, 22 x 29,8 cm, Hardcover
Erscheinungstermin: Juni 2015
42,– Euro www.kunsthaus-bregenz.at www.kunstraumdornbirn.at