Arkadien – Paradies auf Papier.
Landschaft und Mythos in Italien

Marco Dente (tätig 1515-1527) Venus am Ufer (»La Venere Spinaria«), 1516 Kupferstich, 266 x 178 mm © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Marco Dente (tätig 1515-1527) Venus am Ufer (»La Venere Spinaria«), 1516 Kupferstich, 266 x 178 mm © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Das poetische Traumland Arkadien ist ein irdisches Paradies heidnisch-pastoraler Prägung, ein idyllischer Ort, an dem Hirten in ursprünglicher Einfachheit im Einklang mit der Natur, fernab von der hektischen Umtriebigkeit der Stadt leben. Diese Welt des Glücks existiert zuallererst auf dem Papier, denn Arkadien ist eine literarische Fiktion, eine Erfindung der antiken Dichter Theokrit und Vergil.

Ihr nachhaltiger Erfolg in der europäischen Geistesgeschichte begann jedoch erst Ende des 15. Jahrhunderts in Italien. Damals machte sich der Neapolitaner Humanist und Dichter Jacopo Sannazaro (1458-1530) auf, das Arkadien der Antike neu zu entdecken, „a risvegliar le addormentate selve e a mostrare a ́ pastori di cantare le già dimenticate canzoni (die schlafenden Wälder wieder aufzuwecken und die Hirten zu lehren, die bereits vergessenen Lieder zu singen)“. Mit fast 70 italienischen Drucken allein im 16. Jahrhundert, war Sannazaros Roman Arcadia eines der einflussreichsten Bücher der italienischen Renaissance, das Dichter wie Maler gleichermaßen dazu inspirierte, sich ebenfalls auf den Weg nach Arkadien zu machen.

Ausgehend von den literarischen Visionen, entstanden somit auch Bilder dieser erfundenen Sehnsuchtsorte. Diese schmückten als Buchillustrationen die pastoralen und arkadischen Geschichten. Ebenfalls angeregt von den poetischen Bildern der Dichter entstanden aber auch autonome und höchst innovative Bildschöpfungen, die weit über bloßen Textschmuck und Illustrationen hinausgingen. Dabei erwies sich das noch junge Medium der Druckgraphik in seinen verschiedensten Erscheinungsformen als geradezu prädestiniert, nicht nur zur Verbreitung mythologischer Bilder und Bildideen, sondern gerade auch zur Visualisierung arkadischer Sehnsuchtsorte. In zierlichen Niello-Drucken, sattfarbigen Chiaroscuro-Holzschnitten, feingratigen Kupferstichen und samtig-tonigen Radierungen oszillieren diese gedruckten Bilder zwischen graphisch-expressiver und malerisch-atmosphärischer Anmutung.

Dabei kommen im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert gerade die außerordentliche künstlerische Experimentierfreude, Fantasie und Innovationskraft in der Vielfalt der druckgraphischen Techniken dem Wesen des Arkadischen entgegen. Auch für die Darstellung von Landschaft war das Medium der Druckgraphik von Bedeutung. So pittoresk und lieblich uns auch die Gegenden jenseits der Alpen scheinen mögen – italienische Künstler blickten nicht einfach nur aus dem Fenster auf der Suche nach landschaftlicher Inspiration. Sie ließen sich auch von den dezidiert nordalpinen Landschaften anregen, wie sie sie auf Kupferstichen Albrecht Dürers sahen. Spuren dieser Landschaftsauffassung des Nordens finden sich sowohl auf Drucken, als auch in Zeichnungen italienischer Künstler der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Diese Beispiele mögen zeigen, wie die vielfältigen Möglichkeiten und Besonderheiten graphischen Ausdrucks und das enorme Potential von Zeichen- und Druckkunst im Hinblick auf die Erkundung und Wiedergabe Arkadiens genutzt wurden – in engem Zusammenhang mit dem zentralen Thema der Renaissance, nämlich der „Entdeckung der Welt und des Menschen“ (Jacob Burckhardt).

Das Medium der Zeichnung bot sich nicht nur dazu an, direkt vor Ort schöne Landschaften für die ganz persönliche Erinnerung festzuhalten, sondern auch dazu, neue Landschaftsräume zu erfinden. So imaginiert etwa Parmigianino in einer ersten Ideenskizze für die freskierte Ausgestaltung eines Raumes in der Burg von Fontanellato bei Parma einen Ort, an dem der Betrachter (wie im Mythos der Jäger Aktäon) auf Diana und ihre Nymphen trifft, die sich unter einem Baum niedergelassen haben. Dieser Wunsch, aus dem realen Raum einen idealen, arkadischen zu machen, findet auf Papier seinen ersten Niederschlag. Landschaft spielt überhaupt auf dem Bildträger Papier bereits in dieser Zeit eine äußerst wichtige Rolle, während sie als Gattung in der Malerei erst im 17. Jahrhundert entsteht. In ihrer besonderen Zeitlosigkeit ist die gezeichnete viel stärker noch als die gemalte Landschaft dem Thema Arkadien wesensverwandt. Mit dem Zeichenstift spürt der Künstler hier den Augenblicken flüchtigen Glücks nach, bannt sie auf Papier, sucht, findet und erfindet Sehnsuchtsorte. Ausgehend von diesen Werken lädt die Ausstellung ein, die vielfältigen Facetten des Glücks in der Landschaft zu erkunden. Dabei liegt der Fokus auf verschiedenen kulturellen Zentren Italiens in der Zeit zwischen der Mitte des 15. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts, der Epoche von Botticelli, Parmigianino, Campagnola und Guercino.

Das papierene Bilderparadies zeigt in etwa 100 ausgewählten Werken – Zeichnungen, Druckgraphiken und illustrierten Inkunabeln der Buchdruckkunst – den Facettenreichtum der Thematik mit ihren philosophischen, gesellschaftlichen, literarischen und künstlerischen Aspekten und machtdeutlich, dass die Idealwelt Arkadien weit mehr beinhaltet als Hirtenidyllen und Schäferstündchen. Die Ausstellung zeigt Bilder von Landschaften idealer Schönheit, bukolischer Idylle und Orten mystisch-mythischen Seins, durchwebt von inniger Naturverbundenheit und göttlichem Liebeszauber. Solche paradiesischen Orte haben in ihrer zeitlosen Schönheit bis heute nichts von ihrer Faszination verloren, denn der Mensch hat zu allen Zeiten Glück und Daseinsfreude in der Natur gesucht und gefunden – ganz seiner Vertreibung aus dem Paradies zum Trotz.

Vortrag
Donnerstag, 22. Mai 2014, 18 Uhr
L ́Arcadia italiana
Marco Riccòmini, Mailand (Italienisch, mit deutscher Simultanübersetzung)
Gefördert und organisiert von: Italienisches Kulturinstitut Berlin – Istituto Italiano di Cultura Berlino
Anmeldung erbeten bis zum 20. Mai 2014 unter antwort.iicberlino@esteri.it
Ort: Vortragssaal des Kulturforums (Eingang Zentrale Eingangshalle der Staatlichen Museen zu Berlin, Matthäikirchplatz)
 
Katalog
Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien
Hrsg. von Dagmar Korbacher, mit Beiträgen von Christophe Brouard und Marco Riccòmini
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014
Preis (im Museum): 24,95 Euro
 
Arkadien – Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien
07. März – 22. Juni 2014
Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin
Eingang: Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
www.smb.museum